18 September 2013

Abhör

 

Zur Zeit gehen seltsame Dinge vor. Etliche gebildete Menschen haben bereits freiwillig ihre sämtlichen persönlichen Daten bei den sozialen Netzwerken abgegeben, Twitter, Facebook, Google+ undsoweiter. Niemand weiß, was die sozialen Netzwerke damit machen, außer: Geld verdienen. Wem die Daten zu diesem Zweck verkauft werden, ist den Nutzern anscheinend zu hundert Prozent schnuppe.

Viele der eben genannten Leute beklagen sich gleichzeitig darüber, dass Geheimdienste ihre Mail mitlesen können. Selbst dann, wenn sie verschlüsselt ist. Wo sie doch durch die Verschlüsselung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht haben, dass dort bitte niemand mitlesen möchte, nicht einmal ein Geheimdienst.

Die Erfindung der E-Mail ist vor allem eins: Schrecklich bequem. Sie ist binnen einer Sekunde beim Empfänger, man kann zitieren, alle möglichen Dateien anhängen, Bilder, Töne, Tabellen, Dokumente. E-Mail kostet fast nichts, man kann sie spielend kopieren und an endlos lange Empfängerlisten versenden. Der Nachteil ist: Eine gewisse Anzahl fremder Leute kann uneingeladen mitlesen. Nicht jeder, denn es braucht ein gewisses technisches Verständnis und Aufwand. Aber wer wirklich will, kann.

Die meisten Mails wurden bislang ohnehin unverschlüsselt verschickt. Wer nur in der Lage war, sie auf einem Server abzufangen, der konnte sie auch lesen. Seit Aufdeckung der Abhöraktionen verschiedener westlicher Geheimdienste wird mehr verschlüsselt. Leider können die westlichen Geheimdienste auch das mitlesen.

Über die östlichen Geheimdienste wird in diesem Zusammenhang gar nicht geklagt. Denen traut man nicht nur alles zu. Man hält es irgendwie sogar für ihre Pflicht. Deswegen wird gegen die östlichen Geheimdienste erst gar nicht protestiert. Von den ganz finsteren im Iran, Nordkorea und China ganz zu schweigen.

Nun ist es lustiger weise so, dass man in die Datensammlungen der sozialen Netzwerke auch seit langem hineingeraten kann - nein: Unweigerlich hineingerät! - ohne selbst etwas verfängliches getan zu haben. Irgendein entfernter Bekannter lädt sein ganzes Adressbuch bei Facebook hoch. Oder er erledigt all seine Post über das kostenlose Googlemail. Zu diesem Zweck ergänzt er die dort, bei Google auf dem Server, liegenden Mailadressen mit allen anderen Informationen, die er über den Besitzer der Mailadresse hat, Realname, alle Telefonnummern, Postanschrift, Geburtsdatum, Kontonummer. Falls er das nicht sowieso absichtlich tut, dann vielleicht über das Adressbuch seines Android-Telefons. Dort gibt es einen Knopf "Daten synchroniseren" - und Google synchronisiert alles, was es auf dem Telefon findet, mit seinem kommerziellen Datenbestand, der vielleicht nicht mehr so ganz aktuell ist. Bei Apple weiß ich nicht, unterstelle aber, dass es dort genauso läuft.

Ist da ein großer Unterschied zum Vorgehen der NSA und ihrer Kumpane?

Man muss es einfach auf den Punkt bringen: Wer an digitaler Kommunikation teilnimmt, kommt aus diesen Nebenerscheinungen nicht raus. Es ist schlicht zu einfach, dort Daten zu sammeln, das ist eine verlockende und unglaublich preiswerte Möglichkeit, die sich niemand entgehen lässt, der dazu technisch in der Lage ist. Sozusagen nicht nur ein Sonderangebot, sondern ein Superschnäppchen.

Gleichzeitig kommt heute niemand, keine Privatperson, kein Unternehmen, mehr aus der digitalen Kommunikation heraus - dafür ist sie eben zu bequem, zu schnell, zu kostengünstig, zu einfach. Ebenfalls ein Superschnäppchen.

Wer nicht möchte, dass irgendjemand seine Post mitliest, möge darüber zuerst ein wenig nachdenken. Und dann folgende Lösung beherzigen. Sie heißt Briefpost, von den Freunden des digitalen Zeitalters gern als "Schneckenpost" und schrecklich vorgestrig diffamiert.

Ein herkömmlicher Brief braucht einen ganzen Tag, bis er beim Empfänger ist. Vorher will er ordentlich geschrieben sein, Briefe werden vor dem Absenden vom Verfasser auch noch einmal durchgelesen. Man muss sie rechtzeitig im Briefkasten einwerfen und nicht Sonntagabends, nach dem Tatort. Man muss eine Briefmarke kaufen und bezahlen. Und bis die Antwort per Brief da ist, braucht es noch mal mindestens einen Tag.

Das vorgestrige Briefeschreiben erfordert eine gewisse Disziplin. Das ist natürlich unbequem. Nur ist es eben auch sicher.

Wer nämlich heimlich Briefe mitlesen will muss sie physisch in der Hand halten. Das heißt, er muss irgendwo in Erscheinung treten, und zwar zum richtigen Zeitpunkt, dann, wenn der Brief zusammen mit zehntausend anderen dort vorbei kommt. Wer den Brief mitlesen will muss ihn öffnen, lesen und dann unauffällig wieder verschließen. Und er darf sich nicht zu viel Zeit lassen, weil es auch auffällt, wenn Briefe regelmäßig länger als einen Tag bis zum Empfänger brauchen.

Das alles kostet Geld, Zeit, Organisationsaufwand, Personal. An genau diesen Ressourcen möchten heutzutage auch Geheimdienste sparen, kommerzielle soziale Netzwerke sowieso.

Wer nicht will, dass seine Post mitgelesen wird, soll nicht empört, aber kurzsichtig,  herumjammern, sondern sie einfach herkömmlich als Brief verschicken. Das werden die meisten Erwachsenen ja wohl noch können. Und gut isses.

Hm?

Ja, klar: Darüber, dass es unanständig ist, wenn Regierungen ganze Behörden mit dem Ausforschen ihrer Bürger beauftragen, reden wir ein andermal. Haben wir aber damals nach Mauerfall und Wende bereits getan.

(“Wende … Wende … was war das nochmal?”)

1 Kommentar:

100 Goldfischli hat gesagt…

In der Zusammenfassung: Elektronische Kommunikation ist zu schätzungsweise 98% redundant. Sie wird nur versendet, weil es so einfach ist. Die verbliebenen 2% wären mit althergebrachter Briefpost locker zu bewältigen.

Ein Terrorist, der etwas zu verbergen hat, denkt sich halt eine Geheimsprache aus: "28 Tonnen Zement" klingt gleich viel entspannter als "14 Kilo Semtex". Ein deutscher Fabrikant mit Diskretionsbedarf kann genauso verfahren: "4 Container Baustahl" hört sich viel unverfänglicher an als "4.000 Stück Heckler&Koch Schnellfeuergewehre".
Das kann auch jeder Privatmensch. Oder eben wieder Briefe schreiben.

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