Heute: Besuch von auswärts
Immer wieder kamen einige seltsam gekleidete Gestalten von einem Stamm am fernen Salzsee - so sagten sie jedenfalls - zu den Handclatchtomatln. Wenn sie unter sich waren, bezeichneten sie sich als Missionare, die Clatchis nannten sie einfach Wanderprediger. Sie empfanden die Leute vom Salzsee als anstrengend, weil die sich im alleinigen Besitz der Wahrheit wähnten. Mit schwer widerlegbaren Argumenten verbreiteten sie Unsinn und wollten den anderen Stämmen das Vertrauen in ihre toten Ahnen ausreden. Stattdessen sollte man sich an einen - den einzigen Gott - der Missionare wenden. Ein armseliges Volk, das sich nur einen Gott leisten konnte.
Wie üblich, wenn er ihnen begegnete, war Roo-Arr nicht scharf auf eine Diskussion. Aber weil er da ohnehin nicht mehr rauskam, spielte er eben mit:
„Und warum sollte ich jetzt an deinen Gott glauben und nicht mehr an meinen ?"Roo-Arr hasste solche Diskussionen wegen gar nichts. Wenigstens hielten die Wanderprediger ihn jetzt für einen verstockten Heiden und zogen weiter zum nächsten Pueblo. Dann wären die Sumpfcantatls dran.
„Er vergibt dir deine Sünden."
„Was sind Sünden?"
„Bitte?"
„Sünden. Was sind Sünden? Ich kenne das Wort nicht."
„Oh ... ach so ... äh, ja ... Sünden - das ist, wenn du gegen die Gebote deines Gottes verstößt."
„Was für Gebote?"
„Seine Befehle."
„Unser Gott befiehlt uns nicht."
„Aber er gebietet euch seine Gesetze!"
„Nicht dass ich wüsste. Er gibt uns Hilfestellung. Und wenn er nicht weiter weiß, holt er sich Rat bei den Ahnen."
„Nein!"
„Doch. Wir sind frei, wie der Wind in der Prairie. DAS sind Sünden?"
„Nein, also: Wenn ihr gegen eure eigenen Regeln verstoßt, zum Beispiel. Wenn ihr etwas tut, das ihr gar nicht tun wollt - dann ist das eine Sünde."
„Warum sollten wir so was dummes tun?"
„Jeder tut das manchmal."
„Das ist doch anstrengend. Wir tun immer nur, was wir tun wollen."
"Tut ihr?"
"Ja. Und wenn wir Regeln haben, verstoßen wir nicht dagegen, sondern befolgen sie. Dafür sind Regeln ja da."
„Ach so?"
„Ja."
„Aber manchmal sind Regeln doch unbequem, aber trotzdem da. Wenn man dann verstößt - das ist eine Sünde."
„Unsinnige Regeln befolgen wir natürlich nicht."
„Aha! Und dann habt ihr ein schlechtes Gewissen!"
„Nein."
„Nicht?"
„Wir haben dann sicher unsere Gründe. Warum sollte man da ein schlechtes Gewissen haben?"
„Also ... nun gut."
„Na gut, angenommen, ich hätte eine Sünde - wie du das nennst - begangen. Was muss ich dann tun?"
„Du wendest dich an unseren Herrn und tust Buße, damit er dir vergibt."
„Was für Buße?"
„Du erniedrigst dich."
„Das macht schon meine Frau, dafür brauche ich deinen Herrn nicht."
„Nein, nein, es ist anders: Du zeigst Demut - und bereust!"
„Ich bereue höchstens, wenn ich für einen neuen Topf zu viele Pelze hergegeben habe. Anstatt sie meiner Frau zu schenken. Oder selbst anzuziehen. Ist das eine Sünde? Und deshalb die Demut?"
„Nein! Du bringst ein Opfer!"
„Ein Opfer? Was für ein Opfer?"
„Du bringst ihm etwas, das du schwer entbehren kannst. Etwas, das du gerne selbst hättest. Du opferst ihm ... ein Kaninchen, vielleicht."
„Das würde unser Gott nie verlangen. Wir dürfen unsere Kaninchen selbst essen - das ist sein Wille."
„Nein, das war nur ein Beispiel. Du tust etwas, das du so nicht tun müsstest - das ist ein Opfer."
„Weißt du, unser Gott findet, dass wir nur tun müssen, was wir tun müssen."
„Nein, so meint er das nicht!".
„Das kannst DU ja nicht wissen. Nun gut. Und was passiert dann?"
„Dann vergibt er dir!"
„Und was habe ich davon?"
„Du fühlst dich besser!"
„Warum sollte ich? Mir ist ganz egal, ob mein Gott mir vergibt."
„Ist es nicht!"
„Doch! Ich fühle mich prima. Und wenn es unserem Gott deswegen nicht gut geht, sucht er Rat bei unseren Ahnen..."
3 Kommentare:
Keine Angst, deine Serie hat ihre Leser. Ich will doch wissen, wer der Mörder ist!
Bin bekennender Erstleser. Einfach Klasse.
Ah, wunderbar! Vielen Dank!
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