16 Januar 2009

Von hässlich nach sexy mit Photoshop

Das moderne Leben im Computerzeitalter bringt so einige Veränderungen mit sich. Im Grunde kann man überhaupt erst seit fünf oder sechs Generationen Portraits massenhaft produzieren. Seit vielleicht vier Generationen hat auch der Laie diese Möglichkeit.

Vor der massenhaften Produktion war Malerei. Vor der Laienproduktion war der Profi, "Der Photograph" ¹.

Seit vielleicht einer Milliarde Jahren existiert Leben auf diesem Planeten, seit 400 Millionen Jahren können Organismen "sehen". Seit einer Million Jahren laufen unsere Vorfahren aufrecht, seit vielleicht hunderttausend Jahren gibt es den modernen Menschen, das sind ca. 3.300 Generationen, oder auch 4.000, je nachdem.

Und wahrscheinlich immer schon gibt es Dumpfbacken, deren Horizont bis zur Kante der vorgeschobenen Stirn reicht, die aber trotzdem weit über den eigenen Erfahrungsbereich hinaus extrapolieren. Deren Weltbild von den Kategorien "hässlich" und "schön" beherrscht wird, ohne über diese Begriffe jemals nachgedacht zu haben. Womit denn auch? Inzwischen können solche Menschen leider sogar Computer bedienen. Das ist ein erstaunlicher Fortschritt - der Softwareerfinder.

Parallel dazu steht eine weitere Entwicklung: Immer schon haben Menschen andere Menschen für schön oder hässlich gehalten. Und immer schon wurden einem anziehenden Äußeren bei Fremden wertvolle innere Eigenschaften zugeschrieben², und umgekehrt.

Erst seit vielleicht vier Generationen ist der Mensch unzufrieden mit seinem eigenen Aussehen. Nein, er ist nicht einfach unzufrieden, er hegt Hoffnung auf Heilung. Es gibt nämlich inzwischen kosmetische Operationen, sowohl am lebenden Körper wie auch an seinem Abbild - per Photoshop. Früher sagte man "Retusche" dazu, und auch das Retuschieren war wieder eine Angelegenheit für den Fotoprofi. Das ist vorbei.

Heute zieht sich ein argloser Amateur eine geknackte Raubkopie von Photoshop aus dem Netz und fängt an zu basteln. Wenn er ein wenig Übung hat, zeichnet er seine Bastelei auf, stellt sie ins Netz und macht seine Einteilung der Welt in "hässlich" und "schön" einem breiten Publikum bekannt.

Der Unterschied zwischen "Wirklichkeit" und "Foto" ist so einem Superretardman schon nicht bewusst. Vom Unterschied zwischen "Wirklichkeit" und "Wahrnehmung" ganz zu schweigen.

Daher wahrscheinlich die leicht undistanzierte Überschrift

"Ugly Girl Sexy Girl Photoshop makes YOU look GOOD"



Gibt noch einen zweiten Teil.

Wer genug Geduld hat, sich den ganzen Film anzusehen, wird bemerken: Mit der klassischen Retusche hat das nichts mehr zu tun. Was da vorgeführt wird, ist eher freie Malerei, wobei das Foto einer Person als Ausgangspunkt für freie Komposition genommen wird. Malen nach Zahlen. Zwischen Vorher und Nachher sind keine Ähnlichkeiten mehr zu erkennen. Nur dass der Autor das gar nicht merkt und sein Werk stolz präsentiert.

Das Ergebnis wirkt noch nicht mal besonders lebendig, eher wie eine schlechte Konstruktion aus einem 3D-Programm.

Tragisch ist eigentlich nur, dass gegenwärtig für viele Zeitgenossen die Grenzen verschwimmen: Schönheit wird für eine absolute Größeneinheit gehalten, und ihre Größe ist messbar in Geld. Retuschierte Fotos werden als Vorbild genommen, Mediencharaktere werden mit echten Menschen verwechselt. Aus 2-dimensionalen Bildern werden die Eigenschaften lebender Menschen hergeleitet. Und unglaublich viele halten den ganzen Vorgang für ganz natürlich und irgendwie unausweichlich. Pah. Dumpfbacken!

...

äh, was? Nee, keine Ahnung was ich damit eigentlich sagen wollte.







¹ ja, das durfte man früher mit ph schreiben.
² auch heute noch sind gutaussehende Menschen vor Gericht erfolgreicher

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