18 Februar 2009

Poverty-Slam

Poetry-Slam ist DSDS für Bürgerkinder. Wenn der liberale Papa Angst um seinen Ruf unter den anderen Kreisstadthonoratioren hat und die Mama jammert "Junge, Du warst auf einer Waldorfschule! Da kannst du dich doch nicht von dem Bohlen anschreien lassen!" dann weiß der Junge: Zu DeutschlandsuchtdenSuperstar braucht er nicht zu gehen - sonst wird das nix mit der Altbauwohnung im Prenzlauer Berg. Oder er muss sie halt selbst bezahlen und kriegt sie nicht von den Alten zum fünfundzwanzigsten geschenkt. Das ist eine beschissene Alternative. Studieren und irgendwann selbst arbeiten ist genau so eine unerfreuliche Perspektive.

Also wird er Poetry-Slammer: Das hat den rechtschaffenen Geruch von Improvisation, besetzten Häusern und Kunst irgendwie, und man kann trotzdem auf der Bühne stehen. Dort darf man seine angelesenen Emotionen rauslassen, die dabei auch nicht tiefgreifender sind als das Vorabendprogramm der Privatsender, und in die leuchtenden Gesichter ahnungsloser Besucher sehen, die ebenfalls irgendwie Kunst erwarten.

Poetry-Slammer können gar nichts, das scheint Zugangsvoraussetzung zu sein. Sie haben dafür aber auch nichts zu sagen. Die deutschen jedenfalls. Hauptsache, es reimt. Und weil es Kunst ist, wird das mit den Reimen nicht so eng gesehen.

Die Mädchen tragen gern zotigen Porno-Content vor. Sie wissen, dass das beim männlichen Publikum immer gut ankommt und außerdem bei einigen Frauen, die so etwas für Feminismus halten.

Die Jungs haben in der Regel Geschichten von universeller Bedeutungslosigkeit. Sie müssen dabei immer stakkatohaft stottern, um die Hektik der Welt und ihr eigenes Darinunbehaustsein zum Ausdruck zu bringen. Außer dem lautstarken Stottern haben sie keine weiteren Ausdrucksmittel zur Verfügung.

Die Mädels haben immerhin zwei (!) Empfindungen darzustellen. Wenn sie versuchen, Gefühl zu zeigen, flüstern sie, so leise dass man sie kaum versteht. Dann weiß man: Aha, jetzt Gefühl! Wenn Flüstern grade nicht passt, oder irgendwer gesagt hat, dass man sie schlecht versteht, können sie außerdem noch schreien wie am Spieß. Das wars dann aber auch, im großen und ganzen. Manche sind wenigstens hübsch - aber das kommt sogar in den Bohlen-Shows vor, dafür braucht man keine hohlen Slam-Poeten.

Lernt man denn wirklich nicht mehr in den Theater-AGs der Gymnasien und den Anthroposophenschulen westdeutscher Mittelstädte? Stottern, piepsiges Flüstern und Brüllen wie am Spieß? Und das ganze sinnleere Geseiere dann als wilde unabhängige zeitgemäße Kunst zu verkaufen?

Na immerhin, mit dem Verkaufen klappts ja: Die Poetry-Slams haben deutlich schneller ihren Weg ins Fernsehen gefunden als beispielsweise die vielen guten Berliner Vorlesebühnen. Wenn die Slammer erstmal im Fernsehen waren, findet sich auch für die Kleinkunstbühne in der Provinz irgendein anspruchsloses Publikum das nicht anders entscheidet als vor 50 Jahren: Man geht hin, weil man den aus dem Fernsehen kennt, oder weil man den *einfach gesehen haben muss!* *Köstlich!*

Ja, genau.

Mein Gott! Zeigt mir einen guten Slam-Poeten!

Oder, nein, bitte nicht, nicht zeigen, ich habe mich geirrt: Nein! Bitte nicht!



Dank für die Vorlage an SvenK, der über meine Auffassung dazu vielleicht nicht glücklich ist. Wahrscheinlich ist sie ihm egal.

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du verkennst imho ein wenig, worum es den Poetry-Slammern tatsächlich geht: um eine soziale Veranstaltung, einander des Dazugehörens zu versichern, die dazu noch Gaudi bringt und angenehm von anderen Menschen abhebt. Daß zu diesem Zweck Texte vorgetragen werden, halte ich für deutlich sympathischer als würden Ausländer durch eine Einkaufsmeile gejagt oder Alkohol im Eiltempo in sich hinein geschüttet. Auch wenn mir persönlich die meisten Texte nicht gefallen (manche aber durchaus, was jedoch für alle offiziösen Poetikvorkommen zutrifft) und ich Deine kritischen Beobachtungen über die Vortragskünste lachend teile. Ich empfinde allerdings arrivierte Kunstereignisse (Events, heißt das wohl unter Eingeweihten) zumeist als ähnlich lächerlich und fast immer unfreiwillig komisch, oft aufgrund ihrer Pompöstität sogar deutlich heftiger bis hin zur Peinlichkeit. Nicht aber das Gros der aktiven Teilnehmer und auch nicht die Mehrheit der Zuschauer bei beiden Sorten des menschlichen Zusammenballens. All diese Leute bekommen dabei das, was sie suchen, weswegen die Slams aus sich heraus Erfolg haben und die gehobene Kulturszene subventioniert wird. Und auf das subjektive Erleben dieses Erfolges (wir haben Spaß, wir haben Kultur, wir haben Stil, wir sind die Avantgarde usw.) kommt es den Menschen doch in erster Linie an, nicht auf eine irgendwie objektive Qualität dessen, was dort angeboten und konsumiert wird. Die kann ohnehin meistens keiner der Anwesenden beurteilen, und wohl auch keiner der Abwesenden.

Ein Prinzip des Zusammenhalts sozialer Gruppen ist nun einmal das „Okay, wir fressen Dreck, aber ihr kriegt nichts davon ab, ätsch!" Und das macht bekanntlich noch aus jedem Dreck Gold. Dessen Glanz dann wieder auf die Gruppe fällt. So sind wir halt, die Menschen. (Ich natürlich nicht ganz, ähem..)

Nichtsdestoweniger habe ich bei der Lektüre deines Textes herzlich gelacht. Trag ihn doch mal bei einem Poetry-Slam vor, ich wette, die Leute werden begeistert sein!

Anonym hat gesagt…

Ich finde, dein Beitrag trifft es genau. Am blödesten ist die rythmische Hip-Hop-Variante, bei der einzelne Silben komisch betont werden, weil dadurch angeblich ein "Flow" entsteht. Ich habe ein paar Mal zufällig in solche Sendungen vom WDR reingezappt und das war meist grauenhaft. Die Mischung dort besteht eigentlich immer aus irgendeinem "bald erfolgreichen" Nachwuchsschriftsteller, einem provokant-agressiven jugendlichen Wilden, einem langsameren und verpeilten Träumer und einer furchtbar emotionalen Rythmusakrobatin, die unbedingt aus Berlin kommen muss.

Die beiden einzigen lustigen Beiträge dort kamen von Sebastian Krämer und der hat dann auch 2x hintereinander gewonnen. Weil aber danach wahrscheinlich auch mal jemand anders gewinnen sollte, wurde er hochgestuft und durfte fortan zu Sendungen wie Night Wash. Was er dort machte, war immer noch poetryartig, aber auf eine so vertrackt-lustige Art, dass es mir wiederum sehr gefiel:

http://www.youtube.com/watch?v=npZzlvpb65A

100 Goldfischli hat gesagt…

Oh, super! Das sind sehr schön treffende Analysen, finde ich: Vielen Dank!

An sich wollte ich zur Illustration noch ein paar Links zu berühmten Slammern einfügen, aber ich seh schon: Ihr wisst, wen ich meine.

Und wenn schon Stakkato, dann Thomas Pigor - so lange der lebt, braucht niemand was ähnliches zu versuchen.

100 Goldfischli hat gesagt…

Wer eine Ahnung vom Spießertum bekommen will, das der Slammerei innewohnt, kann sich versuchsweise den entsprechenden Wikipedia-Eintrag ansehen. "Foto: Slam-Publikum in Hamburg." Ach SO sieht Slam-Publikum aus? Dann wird brav erklärt, wie Slam bewertet wird, und welche Regeln da so ... - REGELN? ... und dann wieder "Foto: Slam-Teilnehmer Michel A. in Hamburg". Aha, so sieht also ein Slamteilnehmer aus.

Oder aber ARTE - eigentlich sonst der Sender meines Vertrauens. Aber sie befassen sich leider auch immmer wieder mit Poetry-Slams. Naja, das ist dann wohl Pluralismus.

Anonym hat gesagt…

arte eröffnet diese Artikel dann auch mit dem Satz "Lange Zeit galt: Lyrik ist out!" Wenn man sich eine dieser Veranstaltungen anschaut, sieht man ziemlich deutlich, dass sich daran bis jetzt auch nichts geändert hat. Irgend jemand scheint den wahrscheinlich schon etwas älteren Kulturredakteuren eingeredet zu haben, dass sich hier gerade eine neue, ernstzunehmende Kunstform etabliert. Dabei sind die Inhalte erstmal zweitrangig, wahrscheinlich sind diese Leute schon verblüfft, dass sich die "Künstler" überhaupt auf einer Bühne entäußern, anstatt vor der Playstation abzuhängen. Den Holzweg gab aber es früher schon bei ähnlichen Phänomenen wie Grafitti und deutschem Hip Hop. Das legt sich von selbst wieder ;-)

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