15 Juni 2009

Routing und Logik

Früher dauerte eine Reise so lange wie sie dauert. Seit einiger Zeit hat es der Reisende eilig. Weil Eile beim nichts ahnenden Betrachter Wichtigkeit vortäuscht.

I.
Die deutsche Bahn hat in den letzten Jahren Milliarden von Steuergeldern ausgegeben, damit man mit Zügen, die bis zu 300 Stundenkilometer fahren, in kürzester Zeit von Berlin nach Frankfurt brettern kann. Und am Nachmittag wieder zurück. Was man da eigentlich soll, kann man dann hinterher überlegen. Frankfurt/Main. In das andere Frankfurt fahren solche Züge erst gar nicht. In die Landeshauptstädte Magdeburg und Potsdam auch nicht. Oder nur ungern.

Seltsamerweise hat ausgerechnet Berlin Spandau - das Zentrum der Provinz schlechthin - einen eigenen ICE-Bahnhof. Spandau! Dabei wollen Spandauer nichts lieber, als genau da bleiben, wo sie sind. Ausgerechnet die haben jetzt eine 800 Meter lange Hochleistungsbahnhofshalle.

Aber die Bahn muss ja mit dem Flugzeug konkurrieren. Muss einfach. Muss! Da kann man eben nicht überall anhalten und zum Blumenpflücken aussteigen. Wer sich noch an den letzten großen Vorsitzenden der Bahn erinnert, wird noch wissen, dass der am liebsten überhaupt nirgends mehr angehalten hätte - dann kommt man nämlich am schnellsten voran. Die blöden Monsterbahnhöfe in Berlin waren nur sein zerknirschtes Zugeständnis an die Politik. Und wenn schon Zugeständnis, dann wenigstens besonders groß und besonders teuer, war ja nicht sein Geld.

So viel zur Logik der Bahn.

II.
Schon kürzlich war mir aufgefallen, dass die Stadt Hof von Berlin aus inzwischen erheblich schlechter zu erreichen ist als zu besten Zeiten der deutschen Teilung. Wer nach halb sechs am Nachmittag losfährt, kommt frühestens am nächsten Morgen dort an. 300 Kilometer in sieben Stunden. Das hatte man mit der Postkutsche auch geschafft. Oder mit dem Fahrrad. Zum Glück haben wir jetzt Züge, die das rechnerisch in einer Stunde erreichen würden. Deshalb dauert es sieben.

Aber grade eben weist mich ein Kollege auf die Bahn-Verbindung von Berlin nach Graz hin. Auf der Autobahn etwa 950km. Diese Entfernung könnte so ein Milliarden-Hightech-Zug in etwas mehr als 3 Stunden zurücklegen.

Der Kollege möchte gerne einen Nachtzug nehmen. Nachtzüge sind ja nochmal ein Thema für sich. In Zeiten, wo Züge 300 Stundenkilometer schaffen, machen Nachtzüge innerhalb Europas überhaupt keinen Sinn mehr. Grade das ficht die Bahn nicht an, die 300 kmh sind ja nur die Höchstgeschwindigkeit - mit so einem Zug kann man nämlich auch sehr schön Tempo 50 fahren. Und sehr lange.

III.
Nehmen wir mal an, man hätte ab 20Uhr Zeit und Lust, in Berlin loszufahren. Dann kann man um 22.10h in den nächsten Zug steigen und ist am folgenden Tag schon um 14.22h in Graz. Das sind nur 16 Stunden! Und zehn Minuten. Wahnsinn, nicht? Zweimal umsteigen, über München und Bischofshofen.


Aber es gibt auch eine rasend schnelle Verbindung. Bei der braucht man erst um 22.22h einzusteigen und ist insgesamt genau 16 Stunden unterwegs. Wer hätte sich so eine unvorstellbare Geschwindigkeit vorstellen können zu Zeiten der ... sagen wir mal ... der antiken Römer? Na? Genau: Jeder. In der Zeit kann man die Strecke nämlich auch laufen. Mit dem Pferd schafft man das auf jeden Fall. Na gut, ein Schiff, das kommt nicht ganz ran. Graz hat nämlich keinen Hafen.


Die Bahn schlägt einem eine noch verwegenere Route vor. Subjektiv vielleicht nicht der direkteste Weg. Aber man macht ja gerne einen kleinen Umweg, wenn man damit nur Zeit spart. Zeit! Sparen! Insgesamt ist angeblich heute ohnehin nur noch der reich, der Zeit hat. Auf Geld kommt es doch wirklich nicht mehr an.

Die Bahn schlägt also vor, dass man erst um 23h in Berlin in den Zug steigt. Der fährt nach Hamburg, 250km im Nordwesten von Berlin. Graz liegt genau im Süden. In Hamburg hat man mitten in der Nacht zweieinhalb Stunden Aufenthalt, von 0.43h bis 3.18h. Das reicht grade so zum Umsteigen und für einen Kaffee, wenn man tatsächlich jemanden findet, der einem um diese Zeit einen Kaffee verkauft. Dann setzt man sich in den Zug nach Fulda und rastet dort wieder ein Weilchen. In Fulda erklimmt man um 6.56h den Zug nach München, hat in München eine weitere halbe Stunde Aufenthalt sowie Zeit zum Innehalten und Meditieren und kommt nochmal genau sechs Stunden später in Graz an.

Immerhin ohne Umsteigen zwischen München und Graz. Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, kann von Berlin aus Graz in atemberaubenden 17 Stunden und 22 Minuten erreichen. In Worten: Nur 17:22h! Dieses Tempo hätte sich vor 20 Jahren niemand vorstellen können. Wahnsinn, nicht?

Und so ein ahnungsloser Idiot hat vor Jahren noch über die ultraschnelle Eisenbahn-Direkt-Verbindung Berlin - München über Hannover gelacht.

IV.
Wie gesagt, für die Fernverbindungen hat die deutsche Bahn in den letzten Jahren Milliarden ausgegeben. Konkurrenz mit dem Flugzeug!

Aber bis vor einem Jahr dachten wir alle auch, dass eine Milliarde eine Menge Geld sei. Die Bahnfahrt in einer Richtung kostet deshalb nur noch 170Euro und ist damit fast geschenkt.


Die österreichische Bahn empfiehlt einem den Zug durch Tschechien, von Berlin über Wien, dauerte früher schon 10 Stunden, aber in Zeiten der immer weiteren Beschleunigung des Lebens inzwischen zwölf.

Graz hat übrigens einen Flugplatz. Von Berlin nach Graz fliegt man in 3 Stunden und zahlt ab 160Euro.


V.
Wer jemals über die Kompetenz deutscher Politiker und deutscher Manager nachdenkt kann sich vor Augen halten, dass nach Milliardeninvestitionen heute Hightech-Hochgeschwindigkeits-Züge ein Durchschnittstempo von 55km/h möglich machen. Nach Überzeugung des lange geachteten Spitzenmanagers Mehdorn ist die kürzeste Verbindung sicherlich Berlin - Peking - Graz.





2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hochgeehrter Herr Goldfisch,
Sie sprechen mir aber auch sowas von aus der Seele!!

Herzliche Grüße,

ein Ihnen wohlbekannter Verkehrsplaner.

fwolf hat gesagt…

Richtig. Und im Altertum ist man noch mit der Mitfahrgelegenheit gefahrn. Da kostet das grade maximal 25 Euro von Berlin nach Hof (oder Plauen oder Bayreuth). Vorausgesetzt, es handelt sich um Hof in / bei / im Frankenländle.

Dauert ganze 3 schräcklich lange Stunden.

Und nach Graz sinds knapp 900 km. Dauert angeblich 9 Stunden. Also mit dem pösen Auuuh-do. Kostet auch nurn Fuffi mitter MFG.

Schlimm .. sowas macht unser gutes, schnelles Bahnnetz in Deutschland ganz kapütt! ;->

cu, w0lf.

kostenloser Counter