05 Februar 2011

Prokrastination und Käse

So. Jetzt habe ich etwas über zwei Jahre nach dem Erscheinen endlich auch das Standardwerk über Aufschieberitis durchgearbeitet - mithin nur zwei Jahre, nachdem die Sache in der Öffentlichkeit aktuell war.
"Dinge geregelt kriegen - ohne einen Funken Selbstdisziplin"
Das beweist schon mal: Der Große Bloguator™ gehört wohl direkt zur Zielgruppe. Beim Lesen staunte ich die ganze Zeit, was für Sorgen die Leute so haben. Also: Was für Sorgen die anderen auch haben.

Mit dem Buch verhält es sich dabei leider wie man sich so eine Gruppentherapie vorstellt: Es ändert nix - aber man fühlt sich nicht mehr so allein.

Man kann den Grundton des Buches auch im Blog zum Buch verfolgen.

Lustigerweise scheinen sich die prokrastinatorischen Autoren über so manche andere Erscheinung des Lebens ähnlich zu ärgern wie der Große Bloguator™, obwohl die Sache irgendwie gar nichts mit Aufschiebeverhalten zu tun hat. Sie verfechten u.a. die These, dass Technik einem das Leben durchaus leichter machen kann. Damit meinen sie: Funktionierende Technik - könnte.

Als Beispiel wird eine simple Verpackung namens "Frustration Free Package" genannt, die den Kunden nicht beim Auspacken zur Weißglut treibt, weil er das zum Öffnen benötigte ausreichend potente Werkzeug nur bei einem Bergetrupp der Bundeswehr ausleihen könnte. Das wiederum erinnert mich an an die Gepflogenheiten im sonst sehr geschätzten Supermarkt.

In den meisten Supermärkten gibt es heute eine Käse- und Wurst-Theke, wo einem Käse und Wurst in 3g-Schritten und im extreeeeeemen Zeitlupentempo von Hand abgewogen und reisefertig gemacht wird. Ja klar doch, es darf immer ein bisschen mehr sein! Außerdem gibt es dort Kühltheken, wo Käse und Wurst in genau den Großfamilienpackungen herumliegen, in denen sie aus der Fabrik kommen. Käse in 800g-Stücken. Fleischwurst in Kilo-Gebinden.

Irgendjemandem muss aufgefallen sein, dass es Kunden gibt, die mit beiden Programmen nicht viel anfangen können: Im deutschen Durchschnittshaushalt vergammeln 650g von dem Käseklotz, bevor man in der Lage wäre ihn zu verzehren. Man hat ihn ja nur aus Bequemlichkeit genommen, weil er schon verpackt war. Jeder hat nämlich schon einmal die andere  Erfahrung gemacht: Dass einem seine begrenzte Lebenszeit bewusst wird, wenn er der netten Frau hinter der Theke beim gewissenhaften Abwiegen von zwei Wurstscheiben beiwohnt. Insbesondere dann, wenn er die zwei Scheiben nicht selbst in Auftrag gegeben hat, sondern die nervige Alte vor ihm.

Also gibt es für diese Kunden, die lange durch das Raster gefallen sind, ein drittes unwiderstehliches Angebot: Vorher von Hand gefertigte Kleinpackungen mit 139g Käse oder fünf Scheiben Wurst, und der Preis steht auch gut lesbar drauf. Diese liegen in einem extra Kühlregal.

Aber das ist eine Falle! Der zuständige Abwiege-und-Verpackungs-Spezialist ist die berüchtigte Tresenkraft-from-Hell. Er scheint die Weisung bekommen zu haben, dass am dringendsten nicht das verderbliche Lebensmittel sondern die Klarsichtfolie weg muss, am besten sofort, und zwar alles! Daher sind die ungemein praktischen Kleinportionen so verpackt, dass sie problemlos den nächsten Atomschlag überstehen und auch nicht aufgehen, wenn ein Panzer drüber fährt.

Ein paar harmlose Scheibchen Wurst, die wirklich einen ungefährlichen Eindruck machen, sind in der Regel etwa acht mal mit Folie umwickelt und das ganze dann mit einem unzerstörbaren Kunststoffetikett versiegelt. Wer versucht, das zu Hause auszupacken, zerlegt entweder den Inhalt des Pakets in seine Moleküle, fügt sich selbst schmerzhafte Verletzungen zu und veranstaltet in der Küche ein Blutbad oder er landet in der Klapsmühle. Suboptimal.

So sieht der Fortschritt nicht aus, Leute!

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