24 April 2011

Bauen heute

Wer schon eine Weile dabei ist am Bau, der hat vielleicht mitbekommen, dass der durchschnittliche Bauhandwerker heute deutlich weniger verdient als vor zwanzig Jahren. Schätzung: Inflationsbereinigt noch etwa die Hälfte.

Dabei kostet das fertige Gebäude allerdings heute genauso viel wie früher auch, so viel wie immer schon. Aha? Was kann da passiert sein?

I.
Nehmen wir einmal den Bericht über ein Immobilienprojekt in Hohenschönhausen im Jahr 2011:

"Umgesetzt wird das Konzept von einer Reihe von Projektpartnern. Moritz selbst versteht sich als Initiator und Entwickler des Gesamtvorhabens. Als Investoren fungieren die beiden Unternehmer Lutz Lakomski und Arndt Ulrich, die [...] jetzt zum ersten Mal ein Wohnungsbauvorhaben in Angriff nehmen. Dieses realisieren sie jedoch nicht selbst; vielmehr verkaufen sie die einzelnen Baufelder an Bauträger weiter. So errichtet die Firma Ticoncept [...] ein erstes Wohnhaus mit zehn zwischen 80 und 160 Quadratmetern großen Wohnungen, von denen bisher die Hälfte verkauft ist. Für die 15 Townhouses zuständig ist die Firma Concepta Haus [...] Und den Vertrieb der (bereits verkauften) Fabriklofts übernahm die Profi Partner AG. Beim Verkauf arbeiten alle Beteiligten eng zusammen."

Nun muss man wissen, dass diese Firmen nicht alle nebeneinander her arbeiten, das wäre ja so wie Konkurrenz, und damit fast schon so etwas wie richtige Arbeit. Sondern es läuft so, dass der eine den jeweils nächsten als Subunternehmer beauftragt und auf dessen Preis 15% draufschlägt. Oder soviel wie er glaubt, dass der Markt hergibt, in jedem Fall aber mindestens 15%. Die 15% sind so eine Art richterlich anerkannter Bearbeitungsgebühr. Ihre eigene Tätigkeit bezeichnen diese Unternehmen als Marketing, Projektentwicklung, Projektsteuerung, Developping, Makelei, Vertrieb und sie haben noch andere schöne Wörter dafür.

Im Beispiel oben hat man drei bis vier Stufen (es bleibt im Text ein wenig unklar), und kein Mitarbeiter einer dieser Firmen nimmt auch nur einen Stein in die Hand, heißt: Die Arbeit machen auf jeden Fall andere.

Nehmen wir mal an, die Menschen, die wirklich die Arbeit machen, bekommen 100% (auch das wäre ein Glücksfall, bekommen sie nämlich nie - aber wir nehmen es für das Rechenbeispiel zur Vereinfachung hier einmal an). Dann haben wir nicht etwa 100% + (3 x 15%) = 145%, sondern 100% x 1,15 x 1,15 x 1,15  = 152%, wobei jeder mit fadenscheinigen Ausreden versucht, seinem Auftragnehmer nicht die volle Summe auszuzahlen, sie aber seinem jeweils nächsten Auftraggeber voll in Rechnung stellt.

Einfach zu sehen ist aber bei dieser Rechnung: Das Gebäude ist um 52% teurer geworden, ohne dass irgendjemand einen sinnvollen Handschlag daran getan hätte. Die Bauträger, Makler, Investoren und sonstigen Abschöpfer sehen das naturgemäß anders.


II.
Wenn nun der Markt allerdings nur so viel hergibt, wie so ein Haus eben kosten darf, funktioniert die Rechnung umgekehrt: Der letztendliche Käufer bezahlt dem Verkäufer den Marktpreis, und der vergibt den Auftrag an einen "günstigeren" Nachunternehmer unter Abzug der bewussten Summe die er für seine "Arbeit" erwartet. Nein, das sind natürlich keine 15%, sondern nur ca. 13,05%, aber es summiert sich genauso, wenn sich vier Stufen von Abschöpfern bedienen.

Der Große Bloguator hatte um das Jahr 2000 herum einmal mit einem Wohnungsbauprojekt zu tun, wo es eine derartige Nahrungskette mit mindestens  sieben Stufen Nachunternehmertum gab. Der Autor war als Sachverständiger für den Bauträger tätig, der für eine Wohnungsbaugesellschaft eine Reihe von Häusern errichtete.

Der Bauträger hatte als General*über*nehmer die reine Bauarbeit an einen General*unter*nehmer und die Planungstätigkeiten an einen General*planer* vergeben. Der Generalunternehmer wiederum vergab die Aufträge der jeweiligen Gewerke an einzelne Firmen. Diese Firmen fühlten sich ebenfalls noch nicht verpflichtet, selbst Hand anzulegen und vergaben ihre Arbeit weiter an einzelne kleinere Firmen und diese wiederum arbeiteten mit Vertragsarbeitern aus aller Herren Länder. Die noch zu errichtenden Gebäude waren zum Bauzeitpunkt bereits längst vom Bauherren, der Wohnungsbaugesellschaft, an einen Investor verkauft worden.

Welcher Leser glaubt jetzt, dass dieser Investor für das Gebäude mehr als den üblichen Marktpreis bezahlt hat? Na? Ich auch nicht.

Es lief dann wohl andersrum: Jede der beteiligten Stufen zog dem jeweiligen Nachunternehmer die beschriebene Summe ab,  am besten mit allen erbärmlichen Ausreden so viel wie möglich, mindestens aber die erwähnten 13,05%.

Hier eine kleine Grafik dieser Kaskade: Investor - Wohnungsbaugesellschaft - Generalübernehmer - Generalunternehmer - Einzelunternehmer - Subunternehmer - Vertragsarbeiter.

So sieht das noch harmlos aus. Mit Zahlen anders:  Investor 100% - Wohnungsbaugesellschaft 86,95% - Generalübernehmer 75,61% - Generalunternehmer 65,75% - Einzelunternehmer 57,18% - Subunternehmer 49,71% - Vertragsarbeiter (43,22%*).

Die letzte Stufe mit dem Stern kann man deshalb nicht so rechnen, weil der Vertragsarbeiter tatsächlich nur seine Arbeitskraft mitbringt und nicht die Infrastruktur der Baufirma. Aber dennoch kann man erkennen: Unter diesen Umständen darf der Handwerker weniger als halb so viel von dem verdienen, was bei direkter Beauftragung der Fall wäre. Es geht gar nicht anders.

Selbst so viel wie diese 43,22% werden sie den nahezu rechtlosen Vertragsarbeitern nicht bezahlt haben, aber so oder so: Wer glaubt, dass er unter diesen Umständen qualifiziertes Personal bekommt, hat vermutlich ein kindliches Vertrauen in die Welt.

Was tut man da also? Delegieren - kontrollieren!

Jeder muss seinen nächsten Auftragnehmer kontrollieren, weil der natürlich wegen der schlechten Bezahlung oder der mangelnden Qualifikation zur Nachlässigkeit und zur Produktion von Mängeln geneigt ist. Das Kontrollieren halten die jeweils weiter oben stehenden für ihre Arbeit, und die vermeintliche Nachlässigkeit dient ihnen als Begründung, die ursprünglich vereinbarte Bezahlung des Auftrages großzügig abzurunden.

Hier wurden also von schlecht ausgebildeten und miserabel bezahlten Handwerkern mit viel Reibungsverlust Gebäude errichtet, die für den Endabnehmer aber auch nicht billiger waren. Irgendwas läuft da schief - oder bin nur ich zu naiv?

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