03 Oktober 2011

Grünes Outing

Ja, ich gebe es zu und oute mich hier: So lange es sie gibt war ich nun Sympathisant der Grünen. Inzwischen haben die vieles richtig und so einiges falsch gemacht. Sie haben beispielsweise den Umweltschutz im Bewusstsein der Bevölkerung verankert, und auch noch verschiedene andere Dinge. Für Fundamentalisten hatte ich andererseits noch nie irgendwas übrig, egal von welcher Religion. Und was ich ihnen immer noch nicht verzeihe sind die Regierungsjahre im Bund mit dem vermeintlichen Wirtschaftsauskenner Schröder, einem der schlimmsten Blender, die Deutschland je hervorgebracht hat. Aber das haben die Grünen inzwischen wohl auch selbst gemerkt.

Nun haben sie bei der letzten Landes-Wahl in Berlin ein paar Federn gelassen und Stimmen an eine Partei verloren, die mit ziemlich genau der Einstellung ankommt, wie sie früher mal die Grünen hatten. So weit, so gut.

Aber es geht im Land Berlin ans Regieren und die SPD - ausgerechnet die Partei vom großen Zerstörer Schröder - sucht einen neuen Koalitionspartner. Der soll möglichst schwach sein, sonst taugt er nicht. Wer sich erinnert: Die LINKE hat in den paar Jahren der Berliner Regierungsbeteiligung so ziemlich sämtliche Ideale verraten, die sie jemals behauptet hat. Hatte jemand etwas anderes erwartet? Aber das ist jetzt leider vorbei. Die LINKE kann in Zukunft aus der Opposition heraus wieder lautstark unerfüllbare Forderungen stellen.

Nun biedern sich die Grünen als Koalitionspartner an und das wäre auch nicht so schlimm, wäre da nicht die Verlängerung der Berliner Stadtautobahn. Um Renate Künast von kurz vor der Wahl zu zitieren: "Mit uns wir die A100 nicht gebaut!" An so einem Satz gibt es eigentlich nicht viel auszulegen.

Dem steht nur der Bürgermeister Wowereit entgegen, der sich auch nach der Wahl wieder darauf festgelegt hat, dass die A100 unter seiner Regierung auf jeden Fall gebaut wird, mit wem auch immer.

Einer der sympathischen Züge der Grünen war bisher ihre Authentizität. Das ist neuhochdeutsch für "Ehrlichkeit". Damit scheint es nun vorbei zu sein: Insbesondere auch Renate Künast möchte so dringend mitregieren, dass die Autobahn, ihr Hauptwahlkampfthema, gar nicht mehr so wichtig zu sein scheint. Da werden seltsame Kompromisse gesucht - das Politbüro der SED nannte so etwas immer "Sprachregelung", wenn die real existierende Welt nicht zum verordneten Weltbild passte.

Dummerweise merkt die Klientel der Grünen, dass derzeit nur eine "Sprachregelung" gefunden werden soll, und keine klare Haltung im Sinne des vorher behaupteten Standpunktes. Dabei ist es ganz einfach: Mitregieren oder Stadtautobahn. Nicht und. Nicht ein bisschen. Auch kein vielleicht später. Oder dieser saublöde Schachzug, so zu tun als könnte man die Gelder vielleicht ein ganz klein wenig umwidmen - da hat der Geldgeber nämlich keinen Spielraum und alle Beteiligten wissen es auch. Nein, auch kein geheucheltes "Man kann ja mal fragen...". Sollten sie es wirklich nicht wissen, dann sind sie für die Regierung sowieso beim besten Willen nicht geeignet.

Ich selbst habe gar keine Einwände gegen die Autobahnverlängerung. Aber wenn die Berliner Grünen nach ihren klaren und unmissverständlichen Ansagen jetzt umfallen, weil sie unter Wowereit unbedingt ein bisschen mitregieren wollen, werden sie für mich unwählbar. Und das kann ich mir auch bis zur nächsten Wahl merken.


edith, kurze Zeit später
Es wird immer spannender: Die Grünen und die SPD haben sich angeblich geeinigt - aber sie sagen nicht, worauf. Fragezeichen? "Diese Geheimvereinbarung ist in Deiner Stadt leider nicht verfügbar"? Mir war ganz entgangen, dass jetzt auch die Grünen an der Existenzberechtigung der Piraten arbeiten.

Radioeins hat in diesem Zusammenhang endlich wieder mal Autobahn von Kraftwerk gespielt, eins der großartigsten Musikstücke, die je erfunden wurden. Sie haben leider einem furchtbaren Mix herausgekramt, anstatt die 22min-Originalfassung...

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