07 November 2011

Inselgentrifiz

Heimatkunde


Die Schöneberger Insel wird jetzt auch gentrifiziert, zusammen mit den gegenüber liegenden Ufern.

Die Schöneberger Insel ist nicht von Wasser umgeben, sondern von sehr breiten Bahntrassen, man kann sie nur über Brücken betreten¹. Und die Schöneberger Insel war arm. Bis vor kurzem. Jetzt gibt es am Südende den Bahnhof Südkreuz und auf halber Höhe nach zwanzigjähriger Planungszeit (in Worten: 20!) tatsächlich einen S-Bahnhof mit zwei einfachen Gleisen. Seither ändert sich einiges.

Der Große Bloguator™ kommt ja vom Bau, da sieht man die Welt mit anderen Augen. Deshalb ist ihm aufgefallen, dass in den letzten fünf Jahren an einigen Straßen nahezu jedes Dach ausgebaut wurde.

Nun werden Dächer heute nicht mehr zur Linderung der Wohnungsnot ausgebaut. Wer Wohnungsnot hat, kann nach Meinung unseres sozialdemokratischen Bürgermeisters gerne in die Platte kurz vor Hönow oder nach Spandau-Falkenhagen ziehen, irgendwo in das Elend der Ödnis am Stadtrand, dort ist keine Wohnungsnot. Komisch eigentlich.

Wenn heute in der Innenstadt ein Dachgeschoss ausgebaut wird, dann zur Schaffung hochwertigen Wohnraumes, der sich noch teurer vermieten lässt als die Durchschnittswohnungen mit den ohnehin steigenden Mieten in längst abgeschriebenen Altbauten.

Gerade auf der roten Insel treffen da Welten aufeinander: Auf der einen Seite die Alteingesessenen, die mehrheitlich irgendwo am Rand von HartzIV herumkrebsen. Auf der anderen Seite Leute, die ihre Luxus-Einbauküche nicht einmal selber kaufen, sondern sich von ihrem Arbeitgeber liefern lassen. Heißt: Diese Menschen sind so hochwertig, dass ihr Arbeitgeber versucht, sich bei ihnen einzuschleimen. Wo hat man das heute noch? Das wünscht sich doch eigentlich jeder, oder?

Immerhin fallen sie in der gesunden Schöneberger Multikulti-Mischung bisher nicht unangenehm auf. Migranten, Öko-Bewegte, Studenten, Hartzer und Der Große Bloguator™ - dazwischen fällt so ein einzelner Medizinprofessor oder Software-Millionär kaum ins Gewicht. Irgendwer hat einen gelben Lamborghini, es gibt mehrere hübsche Oldtimer, aber die meisten fahren Fahrrad.

Dass sich doch etwas ändert, sieht man in den Erdgeschossen, am Gewerbe. Bisher dominierte Kleingewerbe, Fahrradläden, Trödler und Leerstand. Seit zwei Jahren ändert sich etwas: In der gottverlassenen Straße zieht ein Biocafé ein, etwas später eine Cocktailbar, schräg gegenüber eine junge aber renommierte Galerie. Seit neuestem ein mediterraner Feinkost-Großhandel und um die Ecke eine Vinothek. Der große Bioladen brummt seit jeher und 400m entfernt macht ein weiterer auf, in den Räumen wo vorher der versiffte Discounter war. Und im Gasometer jaucht sich Günther aus.

Am Kleistpark haben in zwei Jahren drei Buchläden eröffnet. Buchläden. In Worten: 3!

Dabei heißt es doch, dass Buchläden eines der bedrohtesten Gewerbe überhaupt sind. Anderswo müssen sie zumachen - am Kleistpark lassen sich drei neue in Sichtweite des vierten nieder.

Die beobachtete neue Gentrifizierungswelle in Schöneberg findet allerdings unter anderen Umständen statt: Bislang kommt sie ohne Verdrängung aus. All die neuen Läden sind dort eingezogen, wo vorher etwas leer stand. Das wiederum bedeutet, dass das Geschäft vorher nicht lief. Jedenfalls nicht so, wie sich das der interessierte Kaufmann vorgestellt haben mag. Alle neuen Läden sind voll.

Die Wohnungen in den Dächern entstehen da, wo vorher keine Wohnungen waren (ja, natürlich, der Umbau nervt die Mieter da drunter).

Wohin das führen mag, lässt sich bisher schlecht absehen. Noch besteht kein Grund zur Panik, aber wer hätte das vor fünf Jahren von Neukölln gedacht, beispielsweise? Bisher geht es jedenfalls noch relativ entspannt zu, der Türkenmarkt verkauft nach wie vor billiges Gemüse in sechs bis sieben Sprachen und kein Brot mit Diamantstaub vom sogenannten Biobäcker, das dann aber doch nicht schmeckt.

Schönes Schöneberg!



¹ sinngemäß! Ja, ich weiß, von der Yorckstraße her gibt es einen Landweg. Klugscheißer!
² die Berliner Bezirksämter geben übrigens sehr schöne Bücher zur Bezirks­geschichte heraus, beispielsweise das über den Gasometer (Einzelnachweis 2)

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