25 März 2013

Betrübssystem

Computerfritzen sind die Leute, die einem immer wieder vortragen, wie unglaublich intuitiv es ist, auf der Kommandozeile kryptische Befehle in den Rechner zu hacken. Befehle aus dem englischen Sprachraum, die der Laie selbstverständlich nicht kennt. Und bei denen er sich folgerichtig vertippt, wenn er sie von einem Computerfritzen in Pidgin-Englisch buchstabiert gesagt bekommt. Ich habe noch keinen Computerfritzen getroffen, der das nicht behauptet, Kommandozeile sei intuitiv. Es geht wohl um Herrschaftswissen.

Ich habe aber auch bisher noch keinen getroffen, der halbwegs brauchbares umgangssprachliches Englisch sprach. Wenn man Computerfritzen bei einer in Englisch geführten Unterhaltung zuhört, rollen sich einem die Fußnägel hoch. So weit reicht das Herrschaftswissen dann auch wieder nicht. Das ist ja auch das Kennzeichen von Herrschaftswissen: Dass es zwar dafür genügt, bei abseitigen Spezialfällen einen hilflosen Anwender hochmütig zu quälen, aber nicht für die Bewältigung von Alltagsaufgaben.

 
(der simple Befehl um den Müll zu löschen, der entsteht, wenn der Administrator etwas löscht - das ist nämlich anderer Müll als der eines Benutzers)


Interessanter Weise ist die meiste Software durchaus in der Lage, die versprochenen Tätigkeiten durchzuführen - wenn man sich in einem halbjährigen Lehrgang die überaus abwegige Bedienungslogik angeeignet hat. Software-Entwickler stellen sich vor, dass man am besten auch Grafikprogramme oder Spracheingabe allein auf der Kommandozeile bedient. Das verstehen sie eben unter "intuitiv". Wer das nicht möchte, den bezeichnen sie als DAU¹.

Ab hier geht es nicht um Grafik, sondern um Betriebssystem. Jüngst hat nämlich ein automatisches Update auf dem Ubuntu-Linux-Laptop des Großen Bloguators™ den Netzwerktreiber zerschossen.

Die Linuxfreunde sind noch etwas fanatischer, was die Kommandozeile angeht. Sie benutzen gerne den verächtlichen Begriff "Klickibunti" für grafische Oberflächen oder überhaupt alles intuitiv bedienbare oder selbsterklärende. Genau ALLES in Linux wird erstmal anhand der Kommandozeile erklärt. Die notwendigen Kenntnisse soll man im Internet nachschlagen. Dafür benötigt man allerdings ein funktionsfähiges Netzwerk.

Besser wäre wohl, wenn so haarsträubende Fehler erst gar nicht aufträten, solche wie der automatische Ersatz einer intakten Datei durch eine defekte. Aber was solls.

Wenn man den Lösungsweg erst im Internet nachschlagen muss, kann man ohne Netzwerk nur schwer reparieren, insbesondere unterwegs. Es sei denn, man hätte zufällig ein weiteres internetfähiges Gerät dabei. Hat ja heutzutage jeder, was? Es schleppt ja heute jeder zwei Laptops in den Urlaub, für den Fall, dass der eine kaputt geht. Ubuntu-Anwender sollten das besser tun.

Aber einige haben heute ein smartes Phon, mit dem man Dateien herunter laden und speichern kann.

Leiderleider sagt einem Ubuntu zwar in der Fehlermeldung sehr präzise, welche Dateien zum ordnungsgemäßen Betrieb fehlen - aber es handelt sich um zwei Dutzend Dateien, deren Namen sich von den anderen nur in einem von dreiundfünfzig Buchstaben unterscheidet, unter Beachtung von Groß-/Kleinschreibung und Sonderzeichen. Alles Notwendige auf einmal herunterladen kann man selbstverständlich nicht, als Paket "Netzwerk" beispielsweise.

Sucht man also nach einem anderen Weg.

Da gibt es nämlich noch die Installations-CD. Falls man sie versehentlich nicht mit in den Urlaub genommen hat, kann man sie sogar aus dem Internet herunterladen. Allerdings füllt diese Installations-Datei auch wirklich eine ganze CD, sie ist also riesengroß. So viel freier Speicherplatz ist auch auf dem smartesten Fon nicht die Regel. Zum Verständnis: Die fehlende Netzwerkdatei hat 45kB, die Installations-CD 700MB. Es bleibt einem nur nichts anderes übrig.

Falls der Download der 700MB geklappt hat, muss man sie auf CD brennen. Etwas anderes haben die Ubuntu-Leute im Zeichen der vielfältigsten Speichermedien nicht vorgesehen.
"Öhm, kann ich diese winzige einzelne Datei nicht einfach auf die Festplatte kopieren?"

"Du musst eine CD brennen."

"Kann ich nicht auf dem USB-Stick drauf zugreifen?"

"Du musst eine CD brennen."

"Aber - wenn ich dem Programm präzise den Pfad angebe, wo die Datei liegt, kann es dann nicht damit arbeiten?"

"Du musst eine CD brennen."

"Nochmal wegen dem USB-Stick..."

"Wenn dein Computer überhaupt direkt vom USB-Stick startet, darf dafür nichts anderes drauf sein als ausschließlich die Installationsdatei."

"Das heißt, ich müsste alles andere da drauf löschen?"

"Genau. Und formatieren."

"Das meinst du nicht ernst, oder?"

"Du kannst aber auch eine CD brennen. Am besten von der Kommandozeile aus."
Nachdem der Download der aktuellsten Ubuntu-Version fünf mal bei etwa 90% abgebrochen ist, also nach immer einer halben Stunde Warten, lädt man die vorherige Version herunter, das geht reibungslos (selbstverständlich war auf dem smarten Fon vorher ausreichend Platz geschaffen worden).

Dann geht man im Urlaubsort in der dort üblichen Fremdsprache auf die Suche nach CD-Rohlingen.

Mit der vorletzten Version kommt allerdings das bereits aktualisierte Betriebssystem nicht klar:
"Nein, du musst die aktuelle Version aktualisieren."

"Aber an der Datei hat sich doch gar nichts gändert seit dem letzten Update? Netzwerktreiber mit 45kB?"

"Du musst die aktuelle Version aktualisieren."

"Wenn ich jetzt die aktuelle Netzwerk-Version gänzlich lösche ... dann könnte ich doch von der Installations-CD die alte Version installieren, das ist doch auf der Installations-CD alles drauf und funktioniert?"

"Nein, du musst die aktuelle Version aktualisieren."
Na gut, denkt man und will sich flexibel zeigen. Lädt also mit letzter Verzweiflung schließlich doch die ganz aktuelle 700MB-Datei herunter und es klappt zufällig einmal. Auch diese muss natürlich auf CD gebrannt werden. Nein, auf DVD, es sind 732MB - und das sind 32MB zu viel für eine CD. Sehr clever. Zum Glück liegen da jetzt sowieso DVD-Rohlinge herum, etwas anderes hatten sie in dem Laden nicht.

Und dann bekommt der naive Anwender die Meldung, dass etwas ganz Schlimmes passiert ist. Ich zitiere:
"W: Die Datei »http://archive.ubuntu.com/ubuntu/pool/main/p/ppp/ppp_2.4.5-5ubuntu1_i386.deb« konnte nicht heruntergeladen werden. Beim Auflösen von »archive.ubuntu.com:http« ist etwas Schlimmes passiert (-5 - Zu diesem Hostnamen gehört keine Adresse)

W: Die Datei »http://archive.ubuntu.com/ubuntu/pool/main/p/pptp-linux/pptp-linux_1.7.2-6_i386.deb« konnte nicht heruntergeladen werden Beim Auflösen von »archive.ubuntu.com:http« ist etwas Schlimmes passiert (-5 - Zu diesem Hostnamen gehört keine Adresse)

W: Die Datei »http://archive.ubuntu.com/ubuntu/pool/main/n/network-manager-pptp/network-manager-pptp_0.9.4.0-0ubuntu1_i386.deb« konnte nicht heruntergeladen werden Beim Auflösen von »archive.ubuntu.com:http« ist etwas Schlimmes passiert (-5 - Zu diesem Hostnamen gehört keine Adresse)

W: Die Datei »http://archive.ubuntu.com/ubuntu/pool/main/n/network-manager-pptp/network-manager-pptp-gnome_0.9.4.0-0ubuntu1_i386.deb« konnte nicht heruntergeladen werden Beim Auflösen von »archive.ubuntu.com:http« ist etwas Schlimmes passiert (-5 - Zu diesem Hostnamen gehört keine Adresse)"
Das ganze ist eine einzige Meldung, welche sich in einem winzigen Fensterchen präsentiert, in dem volle drei Wörter nebeneinander passen.

Dass "zu dem Hostnamen keine Adresse" gehört, könnte man in verständlichen Worten auch so formulieren, dass es keine Internetverbindung gibt. Nicht sehr überraschend, das Netzwerk ist ja kaputt. Das Programm empfiehlt einem sinngemäß, die Dateien, die einem fehlen, weil man keine Netzwerkverbindung hat, doch über das Netzwerk herunter zu laden. Ein Zirkel.

Irgendwie lässt sich diese ganze verquere Logik mit Hilfe des smarten Fons und gewisser krimineller Energie letztlich doch noch überwinden und nach nur zwei Tagen sinnloser Tätigkeit hat man wieder ein funktionierendes Netzwerk.

So viel zu den Computerfritzen und ihrer Auffassung von "anwenderfreundlich", "durchdacht" und "intuitiv". Aber sie bezeichnen den Anwender als DAU und eine leicht verständliche grafische Oberfläche als "klickibunti".




¹ für den älteren Leser:
Eine Zeit lang galt das Akronym DAU für den schlimmsten Feind der Computerfritzen, den Benutzer. Sie kürzten ihn gerne pauschal als Dümmster Anzunehmender User ab.
Dass man einen User auch ganz einheimisch Anwender nennen könnte, hat ihnen boshafter Weise über Jahre hinweg niemand gesagt. Es sind dieselben Leute, die bis heute nicht wissen, ob eine heruntergeladene Datei nun "downgeloadet" oder "gedownloadet" wird.



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