10 April 2015

Papier

Unerwünschte Werbesendung


Zu jedem Berliner Hausbriefkasten gehört inzwischen ein Mülleimer. Das liegt an den zahllosen Werbeflyern, Handzetteln, Zeitungsbeilagen und Bezirksanzeigern, die man täglich ungefragt in den Briefkasten gesteckt bekommt. Und man bekommt sie natürlich auch dann, wenn in Großbuchstaben KEINE WERBUNG! auf dem Briefkasten draufsteht.

Der Briefträger und der Zeitungsbote sind nämlich angewiesen,  dass das KEINE WERBUNG! nicht gilt, wenn die Werbung in eine Art Zeitung gesteckt ist und einem erst beim Öffnen des Briefkastens entgegenfällt.

Der Werbeflyer- und Handzettelverteiler andererseits hat den Auftrag, möglichst schnell seinen Stapel Papier loszuwerden, egal wie. Wenn auf dem Briefkasten steht KEINE WERBUNG!, vielleicht noch mit einem höflichen BITTE versehen, dann übersieht er das entweder geflissentlich. Oder er hält sich daran und steckt die Werbung nicht in den Briefkasten, sondern legt einen ganzen Stapel seines Papiers lose auf die Treppe. Am besten neben den Stapel des Verteilers, der bereits eine Stunde vor ihm in ähnlicher Mission da war. So kann man beide gut sehen und sie liegen nicht als sogenannte "Werbung" im Briefkasten.

Schon vor geraumer Zeit zeigte sich das logische Ergebnis: Der Hausflur wird rasant vollgemüllt, all das unerwünschte Papier verteilt sich wie von selbst. Der Vorgang ist so unschön wie folgerichtig.

Der kluge Berliner Hausmeister stellte irgendwann einen Karton auf, in den er zuerst noch selbst das herumliegende Papier werfen musste. Nachdem sie den Sinn dieser bahnbrechenden Einrichtung verstanden hatten, taten es ihm die Besitzer der Hausbriefkästen nach und warfen sogar selbst die Werbung direkt aus dem Briefkasten in den dafür vorgesehenen Karton.

Kartons werden in Berlin heute nur noch in den herkömmlichen Bezirken verwendet. In den gentrifizierten Stadtteilen, wo sich hinter den Gründerzeit-Fassaden inzwischen ausschließlich die Eigentumswohnungen der anspruchsvollen Zugezogenen befinden, wurden im Zuge der Pinsel-Sanierung sogar fest installierte Papierkörbe direkt unter den Hausbriefkästen angebracht.

Der Hausbesitzer alter Schule vermeidet den fest installierten Papierkorb jedoch, weil er ahnt, dass den irgendjemand leeren muss. Und dass dieser jemand vermutlich Geld dafür haben will. Die Kartons muss natürlich auch jemand leeren. Aber da sie vom Hausmeisterservice ohne Absprache in Selbsthilfe und nur zur Erleichterung seiner Arbeit aufgestellt wurden, toleriert der Hausbesitzer diese Übertretung stillschweigend und muss für die Leerung selbstverständlich nichts extra bezahlen.

Was allerdings passiert, wenn den unbewacht herumstehenden Karton zufällig jemand anderer dringend braucht, sieht man in folgender Abbildung, es handelt sich um die Stelle, wo der Karton bis vor einigen Monaten (!!!) stand:



Ist das nicht großartig? Die Bewohner verfahren weiter so, als wäre der Karton da – obwohl er das - bei genauer Betrachtung - gar nicht ist!

Was sagen die Verhaltensforscher dazu? Ist das noch Konditionierung oder schon Instinkt?





ach, es glaubt ja doch niemand oder kann sich keiner vorstellen. 
Hier ein Beispiel für das, was der Postbote Zeitschriftenvertrieb jede Woche wieder unter "Keine Werbung" versteht:




1 Kommentar:

nic. hat gesagt…

Tja, der Berliner ist wesentlich weniger flexibel als ihm nachgesagt wird.

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