Vor einigen Jahren verspielte die Berliner S-Bahn endgültig ihren Ruf als zuverlässiges Transportmittel: Ein gewisser Hartmut Mehdorn hatte in dem ihm unterstehenden Unternehmen weitreichende Sparmaßnahmen veranlasst, schließlich kamen seine Spitzenmanager auf die Idee, sogar die Sicherheitsnachweise und Service-Hefte zu fälschen.
Wie man als Erwachsener weiß, fliegen solche Sachen irgendwann auf, wenn es Mitwisser gibt, von denen auch nur einer Grund zur Unzufriedenheit hat.
Nach einiger Zeit flog die Sache auf. Zur Verantwortung gezogen wurde meiner Erinnerung nach nur der Lehrling, der auf Weisung die betreffenden Eintragungen vorgenommen hatte – alle Spitzenmanager redeten sich auf Unwissen hinaus und behielten weiter ihre Bezüge. Wegen Betruges wurde niemand angeklagt. Frechheit siegt.
Heute, etliche Jahre nach dieser Aktion, hat die S-Bahn immer noch nicht ihre alte Zuverlässigkeit wieder erreicht. Inzwischen wächst allerdings eine ganze Generation von Fahrgästen heran, die eine zuverlässige S-Bahn schon gar nicht mehr kennt und deshalb auch nichts vermisst. So kann man ein Problem natürlich auch lösen.
Unter dem Schlachtruf “Bock zum Gärtner” wurde derselbe Hartmut Mehdorn kurze Zeit später ausgerechnet Chef des ohnehin krisengeschüttelten Flughafenneubaus in Berlin. Dass das eine besonders blöde Idee war, ist den dafür Verantwortlichen inzwischen selbst klar geworden und mit irgendeiner fadenscheinigen Begründung ist der gewisse Herr Mehdorn inzwischen nicht mehr Chef.
Noch in seiner Amtszeit, im Dezember 2014, wurden vom Berliner Abgeordneten Delius Fragen nach Problemen mit der Statik aufgeworfen. Diese wurden vom Berliner Bürgermeister bestritten. Leider irrte er sich da und die Probleme existieren doch. Er war wohl von den zuständigen Leuten falsch informiert worden¹. Im September 2015, also neun Monate später, wurde die Baustelle stillgelegt.
Die Kosten für jeden Tag Baustillstand in Schönefeld hat schon vor längerer Zeit jemand ausgerechnet, muss man anderswo nachschlagen, sie liegen auf jeden Fall im sechs- oder siebenstelligen Bereich. Pro Tag. Niemand kann das wollen – aber es ist ja auch wieder keiner verantwortlich.
Bei einem Problem wie dem vorliegenden geht man am Bau etwa so vor: Wenn sich herausstellt, dass die eingebauten Ventilatoren schwerer sind als zunächst gedacht - und diese Ventilatoren auch bereits eingebaut sind - herrscht keineswegs akute Einsturzgefahr. Bei allen Tragwerken werden für genau solche unerwarteten Fälle Sicherheiten vorgesehen, sie können ein mehrfaches der berechneten Lasten vertragen, ohne dass irgendetwas zusammenbricht. Das Dach oder eine Zwischendecke wird sich dann allerdings beispielsweise mehr durchbiegen als gewünscht und wenn die Ventilatoren dort bleiben, sind die Sicherheiten aufgebraucht, es darf wirklich nichts weiteres mehr schief gehen, etwa heftige Schneelast, ein Sturm, oder dass ein Baubetrieb einfach schweres Material dort abstellt. Deshalb darf das nicht zum Dauerzustand werden.
Wo die Ventilatoren nun eingebaut sind, würde der gewissenhafte Bauleiter den Bereich provisorisch abstützen. Kostet Geld und dauert ein paar Tage, klar. Anschließend wird jemand beauftragt, der sich Gedanken über die nachträgliche Verstärkung des Bereichs machen soll, üblicherweise ein Bauingenieur. Die Verstärkung wird eingebaut, die Abstützung entfernt und dann kann es weiter gehen.
Also: So würde jemand vorgehen, wenn er das Problem lösen will.
Der Abgeordnete, der bereits vor einem Dreivierteljahr danach fragte, hat sich das ja nicht aus den Fingern gesaugt. Es wurde ihm von irgendwo aus der Baustelle zugetragen, und das wiederum bedeutet, dass man das Problem dort sehr wohl kannte.
Eine Bauaufsicht, die sieht, dass das Problem behoben wird, schließt in der Regel die Baustelle nicht einfach. Oder anders ausgedrückt: Dass die Baustelle stillgelegt wurde kann nur bedeuten, dass in den besagten neun Monaten niemand an der Lösung des Problems auch nur gearbeitet hat.
Warum nur klingelt mir der Name Mehdorn immer so im Ohr? Der hat die Sache allerdings sicher nicht persönlich versaut. Aus irgendeinem unbekannten Grund gibt es allerdings naive Mitarbeiter in obersten Positionen, die ihre Arbeit zwar nicht machen, aber trotzdem glauben, sie würden bei einem so grundlegenden wie naheliegenden Problem nicht erwischt – obwohl die Sache schon lange in der Welt ist. Zur Verantwortung gezogen wird wahrscheinlich wieder nur der Lehrling, der das Auspacken der Ventilatoren überwacht hat.
Für so großspurige wie erfolglose Manager gab es bereits in den neunziger Jahren den Begriff “Nieten in Nadelstreifen”. Heute sagt man zu solchen Leuten am besten: Bildungsnotstand. Sie haben meist nicht nur Abitur sondern auch einen Studienabschluss, nur Gott weiß woher, haben sich in die bestbezahlten Positionen gehangelt, aber kennen entweder ihre Aufgabe gar nicht oder haben keine Lust, sie zu erledigen. Dafür erwarten sie aber dennoch Spitzenentlohnung.
Und in diesem Zusammenhang kann man auch den gegenwärtigen Diesel-Skandal bei VW sehen. Ein Betrug, bei dem jedem denkenden Menschen klar sein musste, dass er auffliegt: Es gab massenhaft Mitwisser und bei Millionen ausgelieferten Fahrzeugen liegt die Wahrscheinlichkeit, dass einer entscheidenden Person der Unterschied zwischen Theorie und Praxis auffällt, recht hoch. Die Frage war nur, wann. Selbst, wie viel es dann kosten würde konnte man sich bereits vorher ausrechnen.
Was geht in den Leuten vor die das angezettelt haben? Also, außer Gier und Faulheit? Die Entwicklung und Verteilung der Bescheißersoftware muss einige hunderttausend oder Millionen Dollar gekostet haben – über diese Größenordnung entscheidet nicht einmal bei VW der Lehrling oder der kleine Sachbearbeiter.
An VW ist ja das Land Niedersachsen nicht unwesentlich beteiligt. so wie an der Bahn der Bund und am Flughafen die Länder Berlin und Brandenburg. Aber nie-nie-nie wird bei diesen vorsätzlichen Betrugsdelikten einmal ein Täter wegen Betruges verfolgt. Er hat ja “im Sinne des Unternehmens” gehandelt und dabei nur versucht, andere zu betrügen. Ist das etwa die Logik? Niemand stört sich daran, dass der Ruf des Unternehmens dauerhaft beschädigt wird, was sich letztlich durchaus auf die Verkaufszahlen auswirkt.
Dafür genügt noch nicht einmal die Bezeichnung Bildungsnotstand. Aber die Begriffe Ignoranz, Vorsatz, Betrug, Gier und Versagen treffen es so annähernd.
¹ und das ist noch die sympathischste Annahme, die man zu diesem Fall treffen kann. Was, wenn sogar der Bürgermeister von dem Desaster Kenntnis hatte und es dennoch bestritt?