27 September 2016

Helden heute

Eine der rührendsten Geschichten der letzten Zeit ist die Goldmedaille von Santiago Lange im Nacra17-Segeln bei der Olympiade 2016 in Rio.

Der Mann ist 54 Jahre alt und an Krebs erkrankt. Seine Vorschoterin Cecilia Carranza Saroli ist halb so alt. Bei Olympia war es spannend bis zur letzten Sekunde, und im letzten, entscheidenden Rennen mussten er und seine Mitseglerin noch gleich zwei Penalties abarbeiten, bevor sie als Sieger feststanden.

Bei World Sailing Show gibt es ein Interview mit ihm, das durch seinen Lebenslauf angereichert wird (s.a. hier unten, Start bei 7min. 22sec.). In dieser Geschichte gibt es so viele Ja-Abers, dass einem schwindlig wird. Selbst während des Interviews fließen der Mitseglerin Cecilia noch die Tränen, als Lange seine Geschichte erzählt. Und da hat sie bereits vier Jahre mit ihm zusammengearbeitet.

Schon dass sie an den olympischen Spielen überhaupt teilnehmen durften ist für den alten Sack eine überaus große Leistung: Sich gegen eine Horde Jungspunde zu qualifizieren, die jünger als seine Söhne sind. Jeder ernsthafte Sportler will doch dort hin.

Santiago Lange und Cecilia sind natürlich total qualifiziert zum Gewinnen, Lange hatte vorher bereits fünf (!) Olympiateilnahmen bestritten und dabei zwei Bronzetaler abgestaubt. Bereits das ist außergewöhnlich, viele haben es versucht, und aufs Podium kommen immer nur ganz wenige. Aber oft stürzen bei Olympia auch die Favoriten ab, oder gerade. Es ist im Segeln bei den olympischen Spielen beinahe die Regel, dass Favoriten die Erwartungen nicht erfüllen¹.

Cecilia hat zig Landesmeistertitel im Laser und war ebenfalls bereits bei Olympia, nämlich 2008 in Peking, wo sie 12. geworden ist.

Das alles heißt also noch gar nichts. Im Segeln kann man zuvor Weltmeister sein und bei Olympia kläglich untergehen.

Dann kommt die Geschichte mit der Krebserkrankung: Krebsgeschichten sind durch Lance Armstrong komplett entwertet worden. Armstrong war es, der seinen Hodenkrebs ständig im Munde führte (sorry, dass musste!) um damit sein systematisches Doping zu tarnen. Seit dieser Premium-Lügner aufgeflogen ist möchte niemand mehr etwas von “überwundenen Krebserkrankungen” im Zusammenhang mit Sport hören.

Im Interview sagt Lange, dass ihn die Erkrankung an Lungenkrebs vor allem total enttäuscht hat: Er habe immer gesund gelebt, nie Alkohol getrunken oder geraucht. Jeder von uns leitet daraus den Anspruch auf ein sorgenfreies Leben ab.

Ein solcher Sportler quält sich aber auch: “In der zweiten bis vierten Woche nach der Krebs-OP bin ich mit meinen beiden Söhnen 500km Fahrrad gefahren”.  Puuuh. Aber er genoss die Zeit mit den beiden Söhnen, die nicht segeln².

Trotz aller Erfahrung war es überaus hart, mit dem Segeln wieder zu beginnen. Im ganzen nächsten Jahr war er ein “angry old man”, der sich über jede Kleinigkeit aufregte. Jeder Segler kennt sowas. Aber die allerwenigsten gewinnen Medaillen. Santiago arbeitete sich aus diesem psychischen und physischen Tief wieder heraus und bezeichnet sich nun als wieder kaltblütig.

Und dann das olympische Rennen selbst: Hier zum Nacherleben.

Santiago und Cecilia sind die Serie bereits sehr gut gesegelt und gehen in Führung liegend ins letzte Rennen (Ergebnisse hier). Direkt beim Start bekommen die beiden jedoch von den Schiedsrichtern einen Penalty aufgebrummt - unberechtigt, wie Der Große Bloguator™ meint. Aber das Wort der Judges gilt, und man braucht nicht damit zu hadern, sonst hat man bereits verloren. “Stress macht langsam!” sagt dazu ein bekannter Korsar-Segler.

Der Kommentator nennt es “a desaster for them! they were in gold medal position!” Plötzlich liegen sie auf der Startkreuz mit Abstand auf dem letzten Platz. Aber nach einer Runde sind sie wieder im Mittelfeld. Dabei geben sich die Konkurrenten sicher auch Mühe.

An der letzten Luvtonne bekommen sie noch einen Penalty, diesmal berechtigt, weil sie sich ohne Vorfahrt an der Tonne unter einem anderen Boot reingewendet haben. Genau solche Fehler macht man, wenn man unter Druck steht. Niemand hat Lust, in so einer Situation einen Strafkreis zu drehen, insbesondere dann nicht, wenn er dafür erst noch den Gennacker bergen muss. Nach der halben Strecke sehen sie es ein und tun es doch. Der Live-Kommentator sieht bereits andere Teams gewinnen, erst die Neuseeländer, dann die Australier.

Und dann kämpfen sie sich entgegen aller vernünftigen Erwartung nochmal ran und überholen genug Konkurrenten, dass es für die Goldmedaille reicht.

Dabei sind die beiden anscheinend sehr sympathische Menschen.

Im Interview kommt auch die Co-Pilotin zu Wort. Cecilia sagt, dass sie das Alter ihres Mitseglers nie wahrnimmt. Ihre größte Schwierigkeit in der ganzen Zeit war es, überhaupt mit einem zweiten auf einem Boot zu sitzen. Der sagte ihr dann wohl auch öfter, dass sie Einhand-Gewohnheiten und Alleinsegler-Macken ablegen muss. Aber sie griff zu, als sich die Chance bot, mit einem dermaßen erfahrenen Segler aufs Boot zu steigen. Wie gesagt, der Typ hat 54 Jahre auf dem Buckel, steinalt für olympische Wettbewerbe.

“Für mich ist das Alter nur eine Zahl. Es geht nur darum, dass du erreichst, was du gerne möchtest. Ich nehme nicht wahr, wie alt ich bin. In den letzten drei Jahren wache ich jeden Morgen auf und versuche, diese Medaille zu gewinnen. Mein Alter kümmert mich dabei nicht.”

Tja.

 


¹ und auch in der NACRA-Klasse sind die Überflieger der letzten Jahre eingebrochen. Also, naja, sie haben im Kreis der besten Segler der Welt keine Medaille gewonnen - das ist nicht wirklich “eingebrochen”

² seine anderen beiden Söhne haben übrigens auch im Segeln an Olympia 2016 teilgenommen, waren aber nicht ganz so erfolgreich.
… ist aber auch schwer, wenn der Alte Gold gewinnt…

21 September 2016

Transportsport

Vorhin ist eine Wespe mit mir in der S-Bahn gefahren, von Pankow nach Blankenfelde. Bis zur Yorckstraße ist sie nicht ausgestiegen, wollte also wohl noch weiter nach Süden. Da erheben sich doch verschiedene Fragen.

Was macht so eine Wespe, wenn sie aussteigt? Erwartet sie, dass sie so tief im Süden viel bessere Menschen zum Nerven findet? Vielleicht sieht Wespenurlaub ja so aus.

Sieht sie dann nach der Sonne und sagt sich “Verdammt, ziemlich weit weg von zu Hause! Bis zum Abendessen komme ich heute nicht wieder heim. Wo ist denn das Hotel am Bahnhof?”

Oder verliert sie vollends die Orientierung und irrt in der ungewohnten Umgebung umher? Wobei sie schon in der S-Bahn reichlich ziellos wirkte und keinen Plan hatte, welcher Sitzbezug nun essbar ist und welcher nicht. Zwischendurch probierte sie deshalb auch die Haltestangen aus Aluminium.

Wenn so eine Wespe dann aussteigt, schließt sie sich vielleicht einer anderen, ebenfalls vom Weg abgekommenen, Wespe an. Zusammen gründen sie einen Miniwespenstaat und streiten bis zum Wintereinbruch zeternd darüber, wer nun die Wespenkönigin sein darf und wer das Volk sein muss.

 

 


es überrascht ja niemanden, dass dieser Eintrag mit Sport nicht das geringste zu tun hat, oder?

ODER?!?

20 September 2016

Zerbrechliche Steine

Viel zu selten schaut Der Große Bloguator™ bei ThisIsColossal vorbei, einer Art Blog über Kunst - im allerweitesten Sinne. Zu selten deshalb, weil dort am laufenden Band großartige Ideen vorgestellt werden. Beispielsweise dieser hier, der sehr zerbrechliche Skulpturen aufrichtet, meistens aus Flusskieseln, aber auch anderen Steinen:

19 September 2016

Sehvermögen

Meine Urgroßmutter quälte mich über zwanzig Jahre lang mit ihrem Gejammer über “Das schlechte Sehen!” Sie ist sehr alt geworden, aber man konnte sie nicht fragen, wie es ihr geht - sonst fehlte ihr kaum was, und die Standardantwort war stets “Das schlechte Sehen!” Die ganze Familie war von dieser Tirade ziemlich genervt.

Wir konnten nicht einmal antworten, dass wir das ja schon wissen, und dass wir auch nicht glauben, dass es sich inzwischen wieder gebessert hat. Natürlich konnten wir so antworten - aber inzwischen hörte sie auch schlecht. Über das schlechte Hören hat sie nie annähernd so geklagt wie über “Das Schlechte Sehen”. Familienintern ging das Bonmot, dass sie “ohnehin nur hört, was sie hören will!”

Nun, die Sache mit dem selektiven Hörvermögen ist ein verbreitetes Phänomen, auch außerhalb unserer Familie. Aber seit einiger Zeit habe ich selbst begonnen, sehr schlecht zu sehen. Allerdings weigere ich mich, darin eine Art Strafe für mein damaliges Genervtsein zu sehen, nur mit dreißigjähriger Verzögerung.

Ich möchte hier also nur in aller Bescheidenheit kurz darauf hinweisen:

ICH LEIDE STILL!

12 September 2016

Spülung

Sonntagnachmittag, Selbstversorger-Küche im Segelverein², der Geschirrspüler hat fertig mit Spülen, ist aber noch voll:
  • EINER kommt auf die Idee, seine Tasse selbst zu spülen.
  • NEUN kommen auf die Idee, ihre Tasse abzuräumen und stellen sie oben AUF den Spüler. Immerhin¹.
  • NIEMAND kommt auf die Idee, den Geschirrspüler auszuräumen.
Definiere Deutschland.




¹ kennt man ja sehr gern aus Büros: 96% der Kollegen schaffen es, ihre schmutzige Kaffeetasse vom Arbeitsplatz bis genau AUF DEM Geschirrspüler zurückzubringen. Die übrigen 4% stellen die Tasse IN DEN Spüler. Diese 4% bin meist ich.

² aber beachte: Die grauenhaften 70er-Jahre-Wandfliesen - von denen sich niemand trennen will.

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