26 Oktober 2006

Die längste Hochzeit meines Lebens

Am Tag unserer Hochzeit hatte ich furchtbare Blähungen. Die hat manch anderer schon auch - das Problem ist, dass es während der Feierlichkeiten mucksmäuschenstill ist und gleichzeitig ist man von Dutzenden Leuten umgeben.

Man will ja nicht allein sein beim Heiraten und lädt schon Monate vorher alle möglichen Freunde und Verwandten ein, sogar Kollegen. Unter all denen sind immer ein paar, vor denen man sich bestimmt keine Blöße geben will, Schwiegereltern zum Beispiel. Und gerade die mit einem massiven Gasangriff zu ärgern, im Aufzug etwa, oder im Auto, so abgebrüht bin ich nicht.
"Pfffffrrrrttt - haha! Oh, sorry, ihr wisst doch, meine Blähungen! Haha!"
Nee, nee, das kann ich nicht. Ich zog es vor, still vor mich hin zu leiden.

Jedenfalls ist man am Tag seiner Hochzeit andauernd von Leuten umgeben, ständig kommt einer an und will was, Fotos, Gratulieren, Hochzeitslimousine, uuuuu-nheimlich originelle Geschenke, und man hat keine Gelegenheit, unauffällig einen ziehen zu lassen. Da staut sich ziemlich Druck auf, und so ein Künstler bin ich jetzt auch nicht, dass ich die Lautstärke nach Belieben kontrollieren könnte oder vielleicht ein Volkslied furzen.

Das fing schon im Standesamt an. Nein, eigentlich kurz nach dem Aufstehen: Wir hatten Gäste zu Hause, ich bin morgens als erster ins Bad - und das war's dann. Ab da waren wir keine paar Sekunden mehr allein. In meinem Gedärm baute sich sozialer Gasdruck auf.

Weil es leicht nieselte fuhr die Limousine in die Vorfahrt unten im Standesamt. Wieso hat dieses Standesamt eigentlich eine geschlossene Vorfahrt? Heiraten da oft Terroristen? Oder eher regelmäßig Politiker mit Terroristen-Paranoia?

Ins Standesamt fuhren wir schon eine Stunde vor dem Akt - wegen der anderen Gäste, die immer notorisch zu früh kommen. Einige Kollegen waren trotzdem noch vor uns da. So hatten sie eine Ausrede, um nicht arbeiten zu müssen. Nur ich hatte keine Ausrede. Ich musste alles tun, was mir geheißen wurde.
"Paul, komm doch mal!", "Paul, stellt euch mal da hin, für das Foto!", "Paul, lass dich mal drücken!"

Drinnen war es noch schwieriger und ich hatte keine Zeit, auf dem Klo zu verschwinden. Dafür wuchs die Menschenmenge um uns herum. Keine Chance.

Die Rede des Standesbeamten zog sich endlos in die Länge. Er hatte diese grausige unnatürliche Standesbeamten-Standardintonation die sie alle in derselben erbärmlichen Standesbeamten-Rethorikschule zu lernen scheinen und die wohl bedeutungsvoll wirken soll. Zu sagen hatte er eigentlich nichts. Und es zog sich in die Länge. Vor meinem geistigen Auge welkten die Blumen und es wurde Winter.

Nach der endlosen Rede Unterschrift Karin, Foto Karin, Unterschrift Paul, Foto Paul, Unterschrift Karins Zeuge, Foto Karins Zeuge, Unterschrift Pauls Zeugin, Foto Pauls Zeugin, Glückwunsch Standesbeamter, Foto Standesbeamter, Foto Brautpaar, Foto Brautpaar küssend, Foto Brautpaar mit Standesbeamtem, Foto Brautpaar mit Zeugen, Foto Brautpaar mit Zeugen und Standesbeamtem. Dann wieder tausend Leute zum Gratulieren und keine Gelegenheit. Dann Hochzeitsspiele. Sie ließen mich nicht mal zum Klo und die Limousine wartete schon wieder auf Brautpaar, Zeugen, Eltern.

Wir hatten es so organisiert, dass es gleich danch zur Kirche weiter ging. Hätte ich das vorher geahnt - ich hätte nie geheiratet! Oder bei einem Naturvolk, im Freien, wo Furzen als Zustimmung gilt - man soll JA! sagen, oder kann lautstark einen fahren lassen.

In deutschen Kirchen gilt das leider nicht. Dort kam der erste schaurige Höhepunkt. Der Pfarrer predigte gnadenlos. Gnadenlos! Es wurde gesungen. Gebetet. Aufstehen. Dem Herrn danken. Setzen. Beten. Dazwischen Stille. In der riesigen halligen Kirche konnte ich unmöglich... obwohl, vielleicht hätte das ein schönes Echo...? Naja.

Aber der Pfarrer kannte kein Erbarmen. Inzwischen hatte sich gewaltiger Druck aufgestaut. Ich musste mich so sehr konzentrieren, dass ich beinahe die entscheidende Stelle verpasst hätte:
"Willst Du, Paul..."

Der Pfarrer atmete bereits lautstark ein, um mich nochmal zu fragen. Wie peinlich! Karin rutschte unruhig hin und her.

"Ja... ...? Äh: JA! Ja, ja!"
Ich glaube, es klang nicht sehr überzeugend. Und dann nochmal das volle Programm: Hinsetzen, Aufstehen, Beten, Singen, dem Herrn danken. Ich wäre jetzt schon beinah geplatzt.

Aber draußen regnete es und die Limousine wartete. Und vorher in der Kirche noch ein paar Gäste knuddeln, die dringend wieder weg mussten oder gerade angekommen waren oder unbedingt gratulieren wollten. Dann schnell mit den Schwiegereltern ab in die Limousine und zur Feier, in ein Hotel. Dort hatten sie schon wieder eine Vorfahrt und die Gäste warteten bereits. Wir waren seit dem Aufstehen keine Sekunde allein - und ich hatte furchtbare Blähungen.

Das ging so noch mindestens eine Stunde: Der Walzer. Die Hochzeitstorte. Gratulierende Gäste. Geschenke. Rede vom Brautvater. Bonmots der Bräutigamsmutter. Spiele spielen. Geschenke.

Irgendwann stand ich endlich alleine, an der Seite auf der Bühne, vor dem nächsten Akt und dachte "SO, JETZT!!! Jetzt merkt's keiner!"

Zwei haben es aber gemerkt. Einer war nämlich unauffällig hinter mich geschlichen, ein Typ mit Zigarette. Zufällig mein Chef. Und ich.

Es gab eine gewaltige Stichflamme - auf der Bühne, vor den Augen aller Gäste. Mein Chef verbrannte sich die ganze Hand. Also: Das wird schon wieder, aber erstmal war sie verbrannt. Genau wie meine Hose: Die fing Feuer und sengte mir den Hintern ordentlich an. Ich brauchte eine neue Hose und verbrachte den restlichen Abend im Stehen. Aber für Unterhaltung war gesorgt - das war meine Showeinlage.

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