19 Februar 2007

Gesellschaft zur Abschaffung des Superlativs


Misstraue dem Superlativ - eigentlich immer!

I.
Misstraue dem Superlativ, weil er zur Zeit in den seltensten Fällen einen Sachverhalt beschreibt. Misstraue ihm, weil ein Superlativ heute immer mit Propaganda einhergeht, oder mit Werbung - was ja ohnehin dasselbe ist.

"Über 100 Meter ist FLorence J.G.¹ die schnellste Frau aller Zeiten!" Das würde als Information eigentlich genügen ². Aber irgendwo auf derselben Seite der Zeitung findet sich dann garantiert der Nebensatz "Sie können Florence J.G. morgen für fast ganz wenig Geld bei unserem Stadionfest sehen!" Aha. Ich soll kaufen.

II.
Schon der echte unbestreitbare Superlativ geht heute immer mit Propaganda einher. Verräterisch ist aber, wenn erst daran herum gebogen werden muss, weil man, genau betrachtet, gar keinen Superlativ zur Verfügung hat. Das lautet dann "Die schnellste Frau der Welt in diesem Jahr." Ach so? Jahresweltbestzeit.
Heißt: Bis letztes Jahr waren schon etliche schneller. Ich soll trotzdem kaufen.

III.
Von untadeligen Gutmenschen wird häufig "Der heißeste Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen" erwähnt, und damit für die Beachtung des Klimas geworben. "Seit Beginn der Aufzeichnungen", das wären derzeit vielleicht hundert Jahre. Gemessen an den paar Milliarden Jahren seit Entstehung der Erde wirkt das leider nicht mehr ganz so einmalig. Oder an der einen Million Jahre seit Entwicklung der Menschheit. Oder auch nur gemessen an den 2000 Jahren unserer Zeitrechnung - davon sind hundert Jahre ganze 5%. Ein Forscher der zugibt, dass sein Beobachtungszeitraum gerade mal 5% von irgendwas beträgt, macht sich unsterblich lächerlich. Journalisten haben solche Ängste nicht. Anwälte übrigens auch nicht.

Wir wandeln noch eine Kleinigkeit ab: "Seit Beginn UNSERER Aufzeichnungen". Heißt: Anderswo messen sie seit fast zweihundert Jahren.

IV.
Wenn der Sommer beim besten Willen nicht der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen war, reicht es vielleicht wenigstens zum "Heißesten 1. Juli seit Beginn der Aufzeichnungen". Gemerkt? Hier wurde grade der Beobachtungszeitraum auf 1/365 verkleinert. Das sind näherungsweise noch 0,27% der ursprünglichen hundert Jahre. Sollte selbst das nicht reichen, dann eben der "Heißeste 1. Juli seit 1954", das ist nochmal etwa die Hälfte von 0,27% von hundert Jahren.
Jahresweltbestzeit also. "Die schnellste Frau in diesem Jahr auf Tartanbahn".

V.
Ganz schlimm wird es, wenn ein Superlativ über nicht objektiv messbare Sachverhalte gebildet wird. So wie hier:
"Neo Rauch - der bedeutendste Maler seiner Generation".
Aha? Ja, weil nämlich unzweifelhaft feststeht: "Dies wird nicht nur durch die zahlreichen Ehrungen in der jüngsten Vergangenheit, sondern vor allem an der internationalen Präsenz seiner Arbeiten sowie der anhaltenden Diskussion seiner Werke und ihrer sensationellen Preise deutlich." ³ Sen-sa-tio-nelle Preise - bedeutendster Maler, klar. Na dann.

Was will uns das alles bedeuten? Eigentlich nur eins: Misstraue dem Superlativ!


¹ Name von der Redaktion zu diesem Zweck nahezu erfunden
² auch hier liegen schon mehrere Einschränkungen vor: Das gilt nur für Frauen, die irgendwann 1. unter vergleichbaren Bedingungen 2. an einem Wettkampf teilgenommen haben und 3. deren Zeit dabei gemessen wurde.
³ gegen Neo Rauchs Malerei habe ich übrigens gar nichts einzuwenden

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Fabelhafter Text!
Habe sehr gelacht und sage herzlichen Dank.

100 Goldfischli hat gesagt…

Ah! Vielen Dank!

(ich mache mir ja immer Sorgen, dass überhaupt niemand Lust hat, dermaßen lange Texte zu lesen - aber kürzer kann ich nich)

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