05 Juni 2007

Hochzeit

 
Ich weiß nicht, ob ich ein Schwein bin. Nicht gern manchmal. Aber gestern. Ich sitze mit einer Bekannten in einem Lokal in KREUZBERG ("Ausländer rein - Rheinländer raus!") und trinke ein Feierabendbier nach der Rückkehr von der Regatta am Wochenende. Draußen entsteht ein Tumult und ich stöhne entsetzt auf: "Nein, bitte keine rheinischen Hochzeitsbräuche in Berlin!" Meine Tischnachbarin fragt, was das soll. Sie kennt den Brauch nicht.

Durchs Fenster kann man sehen, wie draußen eine junge Frau mit Bauchladen und irgendwelchem Krimskrams drin alle Leute anspricht, die den Fehler gemacht haben, einen Tisch im Freien zu nehmen. Sie ist umgeben von mehreren anderen mitteljungen Frauen, die mit Hula-Blumenkränzen aus rosa Plastik geschmückt sind und das vermutlich "lustig" finden. Ich war diesem Gebrauch nur einmal in der Düsseldorfer Altstadt begegnet - und auch da hat es mich schon geschüttelt.

Ein Reflex. Ich bin auch froh, dass einem andere spießige und völlig sinnleere Gebräuche wie etwa das hochgradig originelle Braut-Entführen bei der Hochzeit hier in der Stadt weitgehend erspart bleiben.

In Berlin wird man dagegen alle zehn Minuten angeschnorrt und braucht gar nicht mehr als das: Behelfsmusikanten spielen einen ungefragt in der U-Bahn voll ("Für 5,- € ist Schluss!"), mäßig sympathische Leute mit Kreissägenstimme wollen einem eine Obdachlosenzeitung aufschwatzen, auf der Straße knien reglose Gestalten mit leerem Blick auf Kissen hinter einer Pappschachtel mit 20 Cent drin und am U-Bahnausgang wollen einem Junkies gebrauchte Fahrkarten für 2 Stationen andrehen. Ganz zu schweigen von den Autoscheibenwasch- Erpressungskommandos, die an jeder zweiten Kreuzung lauern.

Mehr braucht man wirklich nicht. Schon gar nicht von bald zu Vermählenden, die das mal im Rheinland gesehen haben und es dort im Suff uuuunheimlich witzig fanden.

Ich finde das nicht witzig. Durchs Fenster mochte ich gar nicht zusehen, ob die es schaffen, den Gästen vor der Kneipe irgendwas zu verkaufen. "Herr lass diesen Kelch an mir vorüber gehen!" und meine Tischnachbarin sagt im gleichen Atemzug: "Die kommen jetzt bestimmt hier rein."

In Berlin darf man gottseidank nicht in jeder Kneipe Zeitungen, Feuerzeuge, Voodoopuppen oder anderen Scheiß verhökern und damit die Gäste quälen. In dieser durfte man leider schon, oder die Wirtin war nicht schnell genug. Und schon stehen die lustigen Gesellinnen vor uns.

Noch bevor sie ihr Anliegen ausführlich erläutern können, sage ich
"Bitte nicht!"
und gleich nochmal
"Bitte nicht!"
Aber sie sind nicht aufzuhalten und legen los:
"Hallo, das ist der Junggesellinnenabschied und..."
Aber die 1. Brautjungfer ganz aufmerksam:
"Warum denn nicht?"
und es entspinnt sich folgender Dialog:
"Bitte! Da sind doch bestimmt noch andere Gäste!"
"Ja, schon. Aber das ist doch der Junggesellinnenabschied und wir wollen fragen, ob sie uns vielleicht etwas von..."
"Nein."
"...den Sachen hier..."
"Nein."
"...abkaufen wollen."
"Nein."
"Weil das doch der Junggesellinnenabschied..."
"Nein."
"...und da ist es ein alter Brauch..."
"Hier nicht."
"Nein?"
"Nein."
"Warum denn nicht?"
"Weil ich nicht will!"
"Aber es ist doch der Junggesellinnen..."
"Da hinten sind doch bestimmt noch andere Gäste!"
"Aber wir dachten wir fangen hier mal an..."
"Nein!"
"Weil das doch der Junggesellinnenabschied..."
"ERBARMEN!         NEIN!         BITTE NICHT!         NEIN!"
"Wirklich?"
"AAAARGH!"
"Naja, äh, dann, äh ... schönen Abend noch!"
"Ja."

Ich will hier gar nicht den Rheinländerhasser und Rassisten raushängen lassen. Und ich wollte der jungen Frau ihren letzten Lebensabend äh Jungesellinnenabschied nicht verderben. Ich wünsche ihr sogar Glück & Zufriedenheit für die Ehe. Aber ich will in Ruhe gelassen werden, insbesondere beim Bier.
 

7 Kommentare:

Moritz hat gesagt…

das habe ich gerade aus anderer Perspektive hinter mir: eine Freundin wollte ein Junggesellinnenabschiedsbier trinken, als einer der Anwesenden die Brauchtümer einfielen und die arme Braut so lange und lautstark nötigte, bis umsitzende Kneipenbesucher (zufällig eine verirrte Gruppe rheinländischer Männer) ebenfalls einstimmten. So musste die Braut gegen ihren Willen und Ethos "Gummi oder Gummi" verkaufen. Für mich eine Gelegenheit, die Veranstaltung fluchtartig zu verlassen.

100 Goldfischli hat gesagt…

Wie geht denn "Gummi oder Gummi"?
Ist das so ähnlich wie "Süßes, sonst gibt's saures"?

Martha hat gesagt…

Kann man sich da als Rheinländerin gaaanz spontan eine neue Nationalität suchen damit der Kelch an einen vorüber geht?

100 Goldfischli hat gesagt…

Äh... wer von uns ist jetzt die Rheinländerin? Ich kenne diesen Brauch ja nur von einem Besuch da dort so.

Allerdings war diese Diskussion harmlos im Vergleich zu meiner Begegnung mit der "Nachtigall von Ramersdorf" vor längerer Zeit. Das wird dann ein eigener Blogeintrag.

Anonym hat gesagt…

das nimmt mich jetzt wunder. ich - daselbst wahlrheinländerin - kenne diesen brauch nur aus irgendwelchen abgelegenen dörfern in mecklenburg-vorpommern und war der festen überzeugung, diese ländlichen gegenden hätten ihn nach berlin infiltriert. nur mal so zum sagen: bei uns im rheinland gibt es die gute alte sitte des polterabends. da wird bier gesoffen. und sonst gar nichts.

100 Goldfischli hat gesagt…

Ich stelle damit fest: Globalisierung ist kacke! Man weiß noch nicht mal mehr, wo die Gebräuche herkommen, weil man sie in Zeiten von Internet und Billigfliegern jederzeit um den halben Globus transferieren kann.

Mir hatte das ein Freund aus Düsseldorf bei einem Besuch in Düsseldorf voller Stolz als Traditionspflege erklärt und deshalb hielt ich es für einen rheinländischen Brauch.

(ich hoffe, Düsseldorf wird hier von den Mitlesenden als "Rheinland" überhaupt akzeptiert, soll ja da so Meinungsverschiedenheiten zwischen den Bewohnern der verschiedenen Rheinufer geben)

Moritz hat gesagt…

Schließen einer Bildungslücke:
Gummi (-bärchen) oder Gummi (Kondom)
Es ehrt Dich, dass Du das auch noch nicht kanntest.

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