13 Juli 2007

Geiz - eine Geschichte für sich


oder: Hundertundzwei Gründe, warum
ich eine Rechnung nicht bezahlen muss


Manchmal hat man Kundschaft - das kann einfach nur schief gehen. Manche Leute trennen sich eben schwer vom Geld. Und einige wirklich seeeeeeeeeeehr schwer. Der Autor dieser Zeilen, der als Auftragnehmer auch irgendwie vom Geld fremder Leute lebt, tröstet sich dann immer mit der Einsicht "Diese Leute hätten die Kohle nicht, wenn sie nicht so wären": So gnadenlos geizig zum Beispiel. Wobei auch Geiz noch eine schmeichelhafte Beschreibung für versuchten Betrug ist.

Der kaufmännische Laie kommt ja von selbst gar nicht auf die Idee, eine Rechnung vielleicht nicht zu bezahlen. Im Gewerbe ist es aber häufig so, dass zuerst eine Leistung erbracht, dann eine Rechnung dafür erstellt und dann diese Rechnung bezahlt wird. Das ist der Ablauf, der wünschenswerte.

Gestern war wieder einer dieser Tage: Der Kunde war schon länger verdächtig. Nein, das ist falsch: Der Kunde war schon länger bekannt als anstrengender Mensch in der oben beschriebenen Weise. Auftraggeber einer Maßnahme, bei der sogar der Autor dieser Zeilen sich allmählich in Gefahr sah, zum Beihelfer zu werden.

Und es begab sich zu der Zeit, da zwei Rechnungen noch nicht beglichen waren: Die eine seit drei Monaten, die andere seit sage und schreibe einem (sic!!!) Jahr.

Dahinter steckt die Erfahrung, dass es bei manchen Menschen besonderer Überredungskunst bedarf, damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen. Die am besten geeignete Methode ist bekannt als "Russeninkasso", steht aber leider nicht jedem offen. Die zweitbeste Methode ... eigentlich gibt es außer dieser keine zweitbeste Methode, so schwer trennen sie sich vom Geld.

Aber wenn man etwas zu tauschen hat, das ihnen nur wertvoll genug erscheint, versuchen sie, auch das noch zu bekommen. So eine Gelegenheit ergab sich kürzlich: Das begonnene Unternehmen kommt mit Sicherheit zum Stillstand, wenn - ja, wenn der Autor dieser Zeilen nicht noch einige Handschläge unternimmt. Und das schöne schöne Geld, das bisher ausgegeben wurde, wäre womöglich zwar nicht ganz unnütz ausgegeben - aber es könnte noch viel schöner und nutzbringender genutzt werden.

Dafür müsste sich der Auftraggeber allerdings dazu durchringen, die besagten Rechnungen seines Auftragnehmers (= dieser Autor hier) zu begleichen. Sie bewegen sich verglichen mit dem von ihm behaupteten Monatsumsatz, etwa in der Größe von einem dreißigstel. Also etwas weniger als der Durschnittsbürger für seine Telefonrechnung ausgibt.

Jedem unbedarften Zeitgenossen würde dies als lohnendes Geschäft erscheinen - nicht aber der hier beschriebenen Spezies. Für die geht es ums Prinzip. Letztlich aber auch um eine rationale Rechnung: Warum soll ich Leute für ihre Arbeit bezahlen, wenn ich das Geld vielleicht einfach behalten könnte?

Im vorliegenden Fall hat der Auftraggeber eine besondere Überredungstechnik: Man muss damit rechnen, dass man als Auftragnehmer plötzlich selbst zum Schuldner erklärt wird, mit einer Klage überzogen und dass sich alle Verhältnisse bis hin zur Schwerkraft irgendwie umzukehren scheinen. Jedenfalls ist das das Gefühl, das er zu vermitteln versucht.

Kurz gesagt: Man arbeitet für ihn - und danach schuldet man ihm Geld.

Wenn man allerdings etwas wirklich wertvolles zu bieten hat, entspinnt sich immerhin ein Dialog, eine Art Verhandlung - die nur leider sehr anstrengend ist. Der gestrige zum Beispiel in drei Telefongesprächen von dreiviertelstündiger Länge, in denen man rhetorisch durchgewalkt wird - der Auftraggeber setzt auf die Technik des *Ohrabkauens* und hat sie zur Perfektion entwickelt. Wahrscheinlich geben viele Leute nach, nur damit sie nach zwei Stunden Geschwafel endlich ihre Ruhe haben und sind bereit, dafür auf eine nicht unerhebliche Summe zu verzichten.

Der Autor dieser Zeilen sieht solche Vorgänge allerdings auch sportlich und sah sich zu einem aggressiven Ausfall genötigt: "Wenn sie ihre Rechnungen nicht bezahlen, kann ich leider nicht weiter für sie arbeiten."

In den nächsten Stunden bekam er das gesamte Spektrum der Gründe zu hören, warum man eine Rechnung vielleicht nicht bezahlen müsste. Das ganze in der hypnotischen Art endlos repetierender Wiederholungen:

"Ja, hallo? Ach sie sind das! Gut dass sie anrufen - da sind noch zwei Rechnungen offen..."
"Sie müssen das bearbeiten!"
"Nein, zuerst müssen sie zahlen."
"Sie haben die Rechnung viel zu spät gestellt!"
"Zahlen sie."
"Sie wollen mich erpressen!"
"Zahlen sie."
"Ich lasse mich nicht verarschen!"
"Zahlen sie."
"Sehen sie es doch mal so..."
"Zahlen sie."
"Sie sind so ein netter Mensch..."
"Zahlen sie."
"Die Rechnung ist viel zu hoch..."
"Zahlen sie."
"Ich zahle die kleinere der Rechnungen..."
"Nein, alles."
"Ich zahle ihnen die Hälfte."
"Nein, alles."
"Sie wollen also auf mein Vergleichsangebot nicht eingehen?"
"Zahlen sie."
"Die andere Rechnung war viel billiger!"
"Zahlen sie."
"Sehen sie sich ihre Rechnung noch einmal an, da sind bestimmt irgendwo Fehler drin!"
"Zahlen sie."
"Es ist ihre Pflicht!"
"Zahlen sie."
"Wenn ich Erfolg habe, zahle ich das doppelte!"
"Nein, jetzt."
"Das habe ich schon sofort nach der ersten Rechnung gesagt!"
"Zahlen sie."
"Ich werde sie sonst in Regress nehmen!"
"Zahlen sie."
"Ihre Arbeit war bestimmt fehlerhaft!"
"Zahlen sie."
"Wenn ich verliere, sind sie dran!"
"Zahlen sie."
"Sie sind im Unrecht!"
"Zahlen sie."
"Sehen sie es doch einmal so..."
"Zahlen sie."
"Ich habe sie nur genommen, weil sie so ein netter Mensch sind..."
"Zahlen sie."
"Ich bin sehr enttäuscht von ihnen!"
"Das sind viele, die meine Rechnungen bezahlen sollen."


Was hier nicht deutlich beschrieben werden kann ist, dass jedes Argument dieses zweifelhaften Kunden widerlegt sein will. Jedes einzelne. Allerdings läßt er vom jeweiligen Argument erst ab, wenn man ihm die - zutreffende - Gegenposition in drei verschiedenen Formulierungen dargelegt hat.
Das alles übt ungemein - aber es ist wirklich sehr anstrengend.
 

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