21 April 2008

Religiöse Eiferer (2)


In dieser kleinen Reihe werden moderne Formen des weltanschaulichen Eifers vorgestellt. Der Mail-Missionar, der DAU-Verhöhner und der Apostrophenwächter, als Beispiel für Fanatiker der Gegenwart: Hohn- und Erniedrigungsprediger im Internet.


B. Der Mail-Missionar

Vorab zur Erläuterung: HTML-Mail sind E-Mails mit formatierter Schrift und/oder Bildern drin, so etwas wie eine Postkarte, nur im Internet.


Der Mail-Missionar verfügt ebenfalls über einzigartiges und vollkommen nutzloses Inselwissen: Er weiß sicher und über jeden Zweifel erhaben, dass man niemals HTML-Mail versenden soll. Sonst weiß er nicht viel. Auf jede öffentliche Hilfeanfrage in Internetforen wie HTML in Emails funktioniert, antwortet er als erster - und zwar mit der Auskunft, dass HTML-Mail grundsätzlich immer und überall auf der Welt unerwünscht ist.

Warum genau, kann er allerdings nicht sagen, er verweist dann oft auf weitere zweifelhafte Quellen, die schon vor langer Zeit überholt waren. Folgt man dem Weg hin zu diesen Quellen, findet man nur singuläre Gründe, warum eigentlich HTML-Mails ungehörig sein könnten:

1. wird auch Spam zuweilen als HTML-Mail versendet. Die Missionare ziehen daraus den nahe liegenden Umkehrschluss, dass formatierte Mails mit Bildern drin immer Spam sein müssten.

2. "Anhänge sind lästig, wenn man nicht weiß, was man damit tun soll." Nun ja, einfach in Ruhe anzeigen lassen, wenn man den Absender kennt - das wäre eine gute Idee. Oder Bilder abschalten und den Mund halten, das ist auch eine einfache Möglichkeit, die heute jedes vernünftige Programm bietet. Aber darauf entgegnen Mail-Missionare gern (sinngemäß), dass man sich schließlich nach ihrem Programm zu richten habe, egal wie abwegig und ungebräuchlich es auch sei.

3. HTML, also unter Umständen sogar Bilder, beansprucht Bandbreite. Gemeint ist: Übertragungsleistung und Speicherplatz. Eine HTML-Mail vom Blogautor mit Hintergrund und Logo kommt so womöglich auf gut und gerne 100kb. Das ist natürlich beängstigend, in Zeiten wo man sich jeden Abend in einer Flatrate Filme mit 2Gigabyte herunterlädt. 2GB sind auch nur 20.000mal so groß. Jeden Abend, Flatrate.

4. "Und HTML hat fast keinen Mehrwert." Genau, fast keinen, außer, eine Mail überhaupt lesbar zu gestalten. Mit Überschriften zum Beispiel, Fett- und Kursivschrift und kleinen Bildchen, ähnlich einer Zeitung, da wird das manchmal auch gemacht. Oder in Briefen.

> Die Alternative sind logischerweise die
>> keilschriftartigen
>> und völlig ungenießbaren Mails der Missionare,
> die
auf
>>> jede Gestaltung verzichten, außer >
>> und >>
>
für Zitate aus einer vorangegangenen
> Äußerung.


Es gibt sogar verschiedene Glaubensrichtungen der Mail-Missionare. Der Unterschied der beiden wichtigsten Strömungen besteht in der Frage, ob Groß-/Kleinschreibung wünschenswert oder ihrem Gewissen erlaubt ist: Für die einen erhöht sie die "Lesbarkeit" (bzw. was Fanatiker eben darunter verstehen), für die anderen kommt sie als krankes Werkzeug der Gestaltung direkt aus der Hölle.

Wahrscheinlich wegen der unblässigen Predigten der E-Mail-Missionare sind die kostenlosen Mailaccounts der großen Portale ungefragt so eingestellt, dass Mails mit Bildern drin automatisch im Spamordner verschwinden. Man kann das umstellen - wenn man denn jemals davon erfährt. Eine Benachrichtigung erfolgt nämlich nicht.

Der E-Mail-Missionar taucht auf, sobald irgendwo eine Frage zur Gestaltung von Mails gestellt wird. Seine Antwort auf die Frage "Wie kann ich..." ist immer ein donnerndes "DU DARFST NICHT...!". Er will einfach nicht verstehen, schon die Frage nicht. Seine Entgegnung ist deshalb keine Antwort auf die gestellte Frage, sondern eine Predigt und Anklage. Er will auch nicht verstehen, dass jemand, der eine solche Frage überhaupt stellt, sich bereits eine Weile mit dem Thema beschäftigt. Für ihn ist Gestaltung vom Teufel und er wähnt sich im Besitz der Wahrheit.

Hier handelt es sich tatsächlich um eine Frage des Wollens. Es geht um den freien Willen - und er verweigert die Einsicht. Ein paar nebensächliche Schein-Argumente genügen ihm als Auftrag für die Bekehrung der Welt. Wie bereits der DAU-Verhöhner hält sich auch der Mail-Missionar für einen besseren Menschen und leitet daraus die Pflicht ab, allen anderen auf den Nerven herumzutrampeln.

Kein Wunder, dass man in diesem Umfeld binnen kurzem auf den Großmeister der bürgerlichen Rechtschaffenheit trifft, Bastian Sick, der seine Jünger "humorvoll" lehrt, auf die ungebildeten Schichten angemessen herabzusehen.

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