23 April 2010

Zahlungsmoral (4)

eine fast nicht erfundene Geschichte


...

Büroschlüssel haben im Normalfall einen gewissen Wert, sie gehören meist zu einer Schließanlage. Wenn die Schließanlage das ganze Haus umfasst, wird sie vom Vermieter gestellt und man muss den Schlüssel beim Auszug zurückgeben. Selbst ein einzelner Schlüssel hat dann etwa den Gegenwert eines Kleinwagens. Ist er weg, muss unter Umständen alles ausgewechselt werden, dafür wird leicht eine fünfstellige Summe fällig. Unsere Schließanlage gehörte aber nicht dem Vermieter, sondern dem Büro allein. Das waren viel weniger Schlösser und die auch nicht besonders hochwertig, nur gerade so, dass man telefonisch beim Schlüsseldienst einzelne Teile nachbestellen konnte. Vor allem aber: Über solche eigenen Schlüssel muss der Mieter niemandem Rechenschaft ablegen, man muss sie niemandem zurückgeben.

Da meine Arbeit nun wohl zu Ende war, stellte ich eine Rechnung über die gesamte angefallene Arbeitszeit. Auf dem Papier eine ansehnliche Summe. Die Chance, das Geld auch wirklich zu bekommen, war bei realistischer Einschätzung aber gering. Ich hatte nichts schriftliches in der Hand und bei einer Klage musste ich alles beweisen: Welche Arbeit ich erbracht habe, welches Honorar vereinbart war, dass ich keine Fehler gemacht habe. All das würde vom Chef bestritten werden, so weit kannte ich ihn ja nun. Wenn ich mir einen Anwalt hätte leisten können. Konnte ich nicht, ich war damals ziemlich klamm.

Nach weiteren drei Wochen rief der Chef selbst noch einmal bei mir an, in forschem Ton, er bräuchte jetzt den Schlüssel zurück. Ich war erstaunt, dass er all seinen Mut zusammen genommen hatte. "Was für einen Schlüssel?" Ich musste sicherheitshalber erst einmal alles bestreiten, wusste ja nicht, ob da nicht ein Tonband mitläuft und unser Gespräch aufzeichnet. "Den ich dir gegeben habe!" Meinem Ex-Chef war diese Situation natürlich klar. "Ich kann mich nicht erinnern." "Mach keine Spielchen mit mir!" "Was für Spielchen? Wenn ich einen Schlüssel hätte, würde es doch bestimmt eine Unterschrift geben." Er wusste genau, dass es keine gab. Er versuchte es trotzdem. "Das ist Diebstahl!" "Aber wenn ich's doch sage..."

Warum genau er den Schlüssel brauchte blieb im Dunkeln, die Festangestellten hatten ja alle einen. Wahrscheinlich nur zur Sicherheit, um den nächsten freien Mitarbeiter hereinzulegen, falls sich die Gelegenheit ergab. Jedenfalls war er zu geizig, die Schließanlage auszutauschen, lieber überwand er sich und telefonierte mit mir, seinem Schuldner und versuchte, die Verhältnisse in ihr Gegenteil zu verkehren. "Da ist übrigens noch meine Rechnung offen." "Was für eine Rechnung? Kann mich nicht erinnern." Das ist üblich in solchen Fällen, selektives Erinnerungsvermögen. "Die, die ich neulich per Einschreiben mit Rückschein geschickt habe." "Ach die. Die war doch völlig überhöht." Sehr gelassen sprach er das aus, er saß ja am längeren Hebel.

"Weißt du, ich habe zehn Wochen für dich gearbeitet. Dafür möchte ich gerne mein Honorar haben" "Habe ich doch schon längst bezahlt. Du hast doch alles bekommen was dir zusteht." Er meinte: Was mir seiner Meinung nach zustand. Auf dieser Basis zu diskutieren war sinnlos. Ich machte einen letzten Versuch "Sobald ich eine Einzahlung auf meinem Konto finde, denke ich nochmal über den Schlüssel nach, vielleicht kann ich mich erinnern." "Nein, so wird nicht gespielt. Zuerst den Schlüssel!" Der Schlüssel war das einzige Pfand, das ich hatte "Nein, zuerst meine Zahlung." "Solange ich den Schlüssel nicht zurück habe, zahle ich keinen Cent!" Ich wusste aber: Und wenn ich ihn dir vorher zurück gebe auch nicht. "Ich fürchte, so wird das nichts." Mit den Worten "Ich werde dich verklagen!" verabschiedete er sich von mir.

Danach hörte ich nichts mehr von ihm. Dass er die Schließanlage nicht austauschen lassen würde war absehbar, das hätte Geld gekostet. Er hatte es einfach versucht. Er wollte gerne den Schlüssel zurück haben und mein Honorar trotzdem einbehalten. Dass das nicht funktionierte, erschien ihm weder überraschend noch besonders schlimm. Nun ließ er es dabei bewenden. Den einen Schlüssels würde er schmerzlich vermissen und seinen Geschäftspartnern und Bekannten mit treuem Blick von undankbaren und unehrlichen Mitarbeitern berichten. Namentlich von mir.

Ich war also pleite, aber immerhin im Besitz eines Büroschlüssels und etlicher Unterlagen die ich kopiert hatte, als sie unbeaufsichtigt herumlagen. Daraus ließ sich nicht direkt Geld schlagen. Aber das waren die Grundlagen für einige schöne Vergeltungsmaßnahmen.




... to be fortcontinued in kürze ... hier: Zahlungsmoral (5)

4 Kommentare:

Aintschie hat gesagt…

Yo, Freelance-Man schlägt zurück ... wir dürfen gespannt sein :-)

herzausgold hat gesagt…

Hm. Also einen Mahnbescheid tät' ich aber auf jeden Fall beantragen - das kostet fast nichts, macht nicht viel Arbeit - und schreckt die Gegenseite doch erst mal ganz schön auf…

Mir hat das mal 2200 Eumels eingebracht - auch in einer Situation, in der alle Kollegen sagten "Bringt doch eh' nix". Aber der hat kalte Füßte bekommen und bezahlt - auf Heller&Pfennig.

nic. hat gesagt…

jaja, schon aber wie gings weiter!...
;-)

100 Goldfischli hat gesagt…

@ heartofgold: Du glaubst wegen diesem überaus unwahrscheinlichen Einzelfall immer noch an das Gute im Menschen, was?

@ nic: ... bitte um Verzeihung! Ich hatte bereits weitere Folgen vorproduziert und irgendeine Automatik hat sie statt zur Veröffentlichung als Entwurf abgespeichert. Jetzt geht's weiter.

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