Die kleinliche Rache der Macht
Lennart lag auf der Couch und blätterte lustlos in einem brandneuen Superhelden-Comic. Er hätte in der Uni bei seinem Laborpraktikum sein sollen, aber er war noch verkatert vom Vorabend und hatte keine Lust. Beim Praktikum durfte man maximal zweimal fehlen damit man die Bescheinigung bekam. Dieses war erst das zweite mal. Er wurde durch ein Krachen und Splittern an der Tür aufgeschreckt und sprang auf um nachzusehen. Im Flur seiner eigenen Wohnung kamen ihm zwei Kerle in Lederjacke und schwarzer Hose entgegen.
Er musste tief Luft holen: "Wer
sind sie?"
Der kleinere der beiden
antwortete mit betonter Gelassenheit, wie ein Gangster im Film: "Ach,
unser Name ist ganz unwichtig."
Lennart versuchte so
entschlossen wie sein Vater zu klingen.
"Was wollen sie hier?
Raus!"
Das schien sie nicht sehr zu
beeindrucken.
"Du bist doch der
Lennart, dem das Free-Music-Blog gehört, oder?"
Damit sollte für ihn
ein sehr verwirrendes Erlebnis beginnen.
"Was? Ja."
Lennart war überrascht.
Was konnte seine Musikseite im Internet mit ein paar
grobschlächtigen Einbrechern zu tun haben?
"Siehst Du!"
Ihm wurde allmählich
bewusst, dass der größere der beiden Männer
eine glänzende Axt mit einem Metallstiel in der Hand hielt.
Den Arm mit der Axt ließ er locker herab hängen und
ein wenig pendeln. Dabei sah er Lennart interessiert an. Der kleinere,
der mit ihm gesprochen hatte, hielt ein Messer in der Hand, er kam
näher. Er versuchte es noch einmal energisch, aber weniger
überzeugend.
"Was ... was wollen Sie
von mir?"
"Lennart, Lennart, du
bist wirklich ein böser Junge!"
Lennart schwieg und blieb
stehen. Ihm fiel zu dieser großmütterlichen
Feststellung in Verbindung mit dem Messer und der Axt absolut nichts
ein.
"Lennart, Lennart, du
gehst bei Rot über Ampeln, du fährst schwarz mit der
U-Bahn, du schlingerst nachts ohne Licht auf dem Fahrrad und du lädst Musik in deinem Blog hoch ins Internet. Und wer
weiß, wo du deinen Shit kaufst. Du bist wirklich ein
böser Junge!"
"Sind sie von der
Drogenfahndung? Ich will sofort einen Anwalt sprechen!"
Er
wusste, wie abgegriffen und insgesamt bescheuert dieser Satz in seiner
Situation war, aber ihm wollte einfach nichts besseres einfallen. Er
hatte das Gefühl, dass er irgend etwas beeindruckendes sagen
müsste.
"Oh Lennart! Wie kannst
du nur so etwas von uns denken?"
Der kleinere der Kerle streckte
seine Hand aus und schob Lennart rückwärts in sein
Wohnzimmer.
"Ich meine: Wie kannst
du nur von uns denken, dass wir dir einen Anwalt rufen würden?
Sehen wir etwa so aus?"
Dort stolperte er wieder auf die
Couch. Lennart starrte die beiden Männer an.
"Und du
siehst
doch auch nicht so aus. Anwälte sind doch nur was für
Schwächlinge. Und für Verbrecher. Du wirst doch kein
Schwächling sein?"
"Nein."
"Und auch kein
Verbrecher, oder?"
"Nein!"
"So siehst du auch gar
nicht aus. Und wir auch nicht. Sieh mal, würden wir deine
Boxen zerstören, wenn wir von der Drogenfahndung
wären?"
"Welche Boxen?"
Die glänzende Axt des
größeren Kerls krachte in die linke Box der
HiFi-Anlage. Lennart zuckte vor Schreck zusammen.
"Nein, würden
wir nicht: Wozu sollte das denn gut sein? Schade, jetzt ist der
Lautsprecher wohl kaputt."
Das war vermutlich auch der
Zweck: Dass Lennart erschrecken sollte. Das war ihnen gelungen.
"Sind sie wahnsinnig?"
"Wenn wir von der
Drogenfahndung wären, wären wir ja Staatsdiener. Dann
dürften wir womöglich bei dir gar nichts mutwillig
kaputt machen. Oder?"
Er schrie: "Hilfe!"
"Lennart, Lennart! Es
ist früh am Nachmittag und deine Nachbarn sind bei der Arbeit. Ein paar
vielleicht sogar beim Studium, in der Bibliothek. Nur du bist zu Hause.
Komisch eigentlich. Wer soll dich denn hören?"
Lennart rief noch einmal, aber
mit weniger Überzeugung: "Hilfe!"
Der kleinere Kerl redete
begütigend auf hin ein.
"Sieh mal, was meinst
du, was uns davon abhält, mit dieser Axt deine Knie zu
zerschmettern? Na?"
"Ich ... ich
weiß nicht..."
"Genau: Wir auch nicht.
Glaubst du nicht auch, dass du uns besser keinen Grund geben solltest?"
"Ich ... ich
weiß nicht ...?"
"Eben."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen