27 Dezember 2010

Bosheit und Niedertracht (1)


Die kleinliche Rache der Macht


Lennart lag auf der Couch und blätterte lustlos in einem brandneuen Super­helden-Comic. Er hätte in der Uni bei seinem Laborpraktikum sein sollen, aber er war noch verkatert vom Vorabend und hatte keine Lust. Beim Praktikum durfte man maximal zweimal fehlen damit man die Bescheinigung bekam. Dieses war erst das zweite mal. Er wurde durch ein Krachen und Splittern an der Tür aufgeschreckt und sprang auf um nachzusehen. Im Flur seiner eigenen Wohnung kamen ihm zwei Kerle in Lederjacke und schwarzer Hose entgegen.
Er musste tief Luft holen: "Wer sind sie?"
Der kleinere der beiden antwortete mit betonter Gelassenheit, wie ein Gangster im Film: "Ach, unser Name ist ganz unwichtig."
Lennart versuchte so entschlossen wie sein Vater zu klingen.
"Was wollen sie hier? Raus!"
Das schien sie nicht sehr zu beeindrucken.
"Du bist doch der Lennart, dem das Free-Music-Blog gehört, oder?"
Damit sollte für ihn ein sehr verwirrendes Erlebnis beginnen.
"Was? Ja."
Lennart war überrascht. Was konnte seine Musikseite im Internet mit ein paar grobschlächtigen Einbrechern zu tun haben?
"Siehst Du!"
Ihm wurde allmählich bewusst, dass der größere der beiden Männer eine glänzende Axt mit einem Metallstiel in der Hand hielt. Den Arm mit der Axt ließ er locker herab hängen und ein wenig pendeln. Dabei sah er Lennart interessiert an. Der kleinere, der mit ihm gesprochen hatte, hielt ein Messer in der Hand, er kam näher. Er versuchte es noch einmal energisch, aber weniger überzeugend.
"Was ... was wollen Sie von mir?"
"Lennart, Lennart, du bist wirklich ein böser Junge!"
Lennart schwieg und blieb stehen. Ihm fiel zu dieser großmütterlichen Feststellung in Verbindung mit dem Messer und der Axt absolut nichts ein.
"Lennart, Lennart, du gehst bei Rot über Ampeln, du fährst schwarz mit der U-Bahn, du schlingerst nachts ohne Licht auf dem Fahrrad und du lädst Musik in deinem Blog hoch ins Internet. Und wer weiß, wo du deinen Shit kaufst. Du bist wirklich ein böser Junge!"
"Sind sie von der Drogenfahndung? Ich will sofort einen Anwalt sprechen!" 
Er wusste, wie abgegriffen und insgesamt bescheuert dieser Satz in seiner Situation war, aber ihm wollte einfach nichts besseres einfallen. Er hatte das Gefühl, dass er irgend etwas beeindruckendes sagen müsste.
"Oh Lennart! Wie kannst du nur so etwas von uns denken?"
Der kleinere der Kerle streckte seine Hand aus und schob Lennart rückwärts in sein Wohnzimmer.
"Ich meine: Wie kannst du nur von uns denken, dass wir dir einen Anwalt rufen würden? Sehen wir etwa so aus?"
Dort stolperte er wieder auf die Couch. Lennart starrte die beiden Männer an.  
"Und du siehst doch auch nicht so aus. Anwälte sind doch nur was für Schwächlinge. Und für Verbrecher. Du wirst doch kein Schwächling sein?"
"Nein."
"Und auch kein Verbrecher, oder?"
"Nein!"
"So siehst du auch gar nicht aus. Und wir auch nicht. Sieh mal, würden wir deine Boxen zerstören, wenn wir von der Drogenfahndung wären?"
"Welche Boxen?"
Die glänzende Axt des größeren Kerls krachte in die linke Box der HiFi-Anlage. Lennart zuckte vor Schreck zusammen.
"Nein, würden wir nicht: Wozu sollte das denn gut sein? Schade, jetzt ist der Lautsprecher wohl kaputt."
Das war vermutlich auch der Zweck: Dass Lennart erschrecken sollte. Das war ihnen gelungen.
"Sind sie wahnsinnig?"
"Wenn wir von der Drogenfahndung wären, wären wir ja Staatsdiener. Dann dürften wir womöglich bei dir gar nichts mutwillig kaputt machen. Oder?"
Er schrie: "Hilfe!"
"Lennart, Lennart! Es ist früh am Nachmittag und deine Nachbarn sind bei der Arbeit. Ein paar vielleicht sogar beim Studium, in der Bibliothek. Nur du bist zu Hause. Komisch eigentlich. Wer soll dich denn hören?"
Lennart rief noch einmal, aber mit weniger Überzeugung: "Hilfe!"
Der kleinere Kerl redete begütigend auf hin ein.
"Sieh mal, was meinst du, was uns davon abhält, mit dieser Axt deine Knie zu zerschmettern? Na?"
"Ich ... ich weiß nicht..."
"Genau: Wir auch nicht. Glaubst du nicht auch, dass du uns besser keinen Grund geben solltest?"
"Ich ... ich weiß nicht ...?"
"Eben."

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