Neulich erwache ich an einem Samstag am späten Vormittag¹ aus dem Koma und begreife als erstes, dass in der Wohnung über mir jemand Musik macht. Das ist die Wohnung wo normalerweise immer nachts um halb drei der Schrank umfällt - Blog berichtete. Aber das letzte Mal Schrankumfallen ist schon eine Weile her. Ich weiß gar nicht, wer eigentlich inzwischen dort oben wohnt: Das ist die angenehme Anonymität der Großstadt. Eine junge Frau, glaube ich.
Normalerweise hört man von ihr gar nichts. Keine Schritte, keine lauten Diskussionen, keine tobenden Kinder, keine Beischlafgeräusche, keine Wäscheschleuder, nichts. Zuweilen jedoch, an Werktagsvormittagen, hört sie genau eine CD mit erheblicher Lautstärke. Und dann ist auch schon wieder Schluss. Wenn ich dann mal zu Hause bin höre ich das, Popmusik, unterschiedliche Qualität, manchmal fantastisch, manchmal grauenhaft. Ansonsten ist die Bewohnerin der oberen Wohnung genauso ein Phantom wie die übrigen Bewohner des Hauses.
In einem Neubau sollte man gemäß Bauvorschriften überhaupt nichts von den Nachbarn hören, oder jedenfalls erst, wenn das Haus demnächst einzustürzen droht. Vorher nicht. In Deutschland muss so etwas per Gesetz geregelt werden, weil deutsche Hausbewohner gerne irgendwen verklagen, wenn der Nachbar zu oft hustet. In einem Altbau wie meinem bemerkt man aber sowieso hin und wieder, dass die Nachbarwohnungen belebt sind.
Neulich also, Samstagvormittag, Livemusik aus der Oberwohnung: Da spielte jemand ganz wunderbar Gitarre. Akustische Gitarre. eine Art Popmusik, regelmäßig angeschlagene Akkorde, aber keine einfache Schlaggitarre, wie man das aus den Ferienlagern oder von der Admiralsbrücke so kennt, sondern schöne phantasievolle Popmusik.
Wann habe ich das schon mal: Im Bett liegen und gute Livemusik hören? Was besseres kann einem kaum passieren. Es währte ja auch nicht lange. Nach etwa zehn Minuten setzte plötzlich der infernalische Krach und das Rumpeln eines Staubsaugers ein und übertönte die Gitarre. Ist ja nicht schwer - "elektrischer Staubsauger 2Kilowatt vs. akustische Gitarre geht 3:0 in Führung".
Die akustische Gitarre allerdings zeichnete sich durch unerwartete Hartnäckigkeit aus. Der Staubsauger setzte hin und wieder aus und in diesen Pausen hörte man, dass der Musiker ungerührt weitermachte. In diesem Moment spielte sich vor dem geistigen Auge des Großen Bloguators™ ein Film ab, wie ihn wahrscheinlich die meisten schon einmal gesehen haben.
Filmscript on:
Ein Pärchen aus dem Ausland ist bei einer Freundin zu Besuch in der fremden großen Stadt. Der Junge hat seine Gitarre dabei und spielt oft. Er ist ein gefragter Musiker weil er regelmäßig übt. Am Tag der Abreise spielt er wieder, während die junge Frau der Ansicht ist, man sollte der großzügigen Leihgeberin der Wohnung wenigstens ein gepflegtes Nest hinterlassen, auf dass sie Freude empfinde bei der Heimkehr. Um ihrer Vorstellung Nachdruck zu verleihen greift sie zum Staubsauger, der deutlich lauter ist und theoretisch auch einen längeren Atem haben müsste als ein Junge mit Gitarre.
Aber praktisch erweist sich das als Irrtum. Hatte sie gehofft, angesichts des Kraches würde sich ihr Freund begeistert am Reinigen des Nestes beteiligen, so sieht sie sich bitter getäuscht: Stur spielt er weiter.
Da das pfeifende und dröhnende Motorengeräusch ihrer Enttäuschung noch nicht genug Ausdruck verleiht, zerrt sie den Staubsauger besonders grob über den Boden und die Türschwellen, was zusätzlich ein extralautes Rumpeln verursacht. Das soll ihrem Freund subtil und nonverbal andeuten, dass gut er an Stelle des Staubsaugers sein könnte, dass sie gerne ihn ebenso grob behandeln würde.
Es ist etwa so wie eine Mutter, die genervt die Spielsachen ihres Kindes wegwirft, damit es endlich ihrem Ordnungssinn entsprechend aufräumt. Man ahnt, dass die beiden dieses Schauspiel nicht zum ersten mal aufführen.
Lola rennt, der alternative Handlungsstrang
Vielleicht ist es bei ihnen daheim, da wo die beiden Besucher herkommen, umgekehrt: Zu Hause hat die junge Frau den gemeinsamen Haushalt ganz schuldlos allein am Hacken. Immer wenn sie ihren Freund zur Beteiligung an der Hausarbeit auffordert, Müll, Abwasch, Einkauf, hat er nichts wichtigeres zu tun als ganz dringend Gitarre zu spielen. Und zwar genau so lange, bis die Arbeit jemand anderer gemacht hat. Immer. Immerimmerimmer!
Durch lange Übung abgestumpft greift sie im Angesicht der schönen Musik herzlos zum Staubsauger. Es ändert nichts, aber das Imperium schlägt zurück. Aber, wie schon gesagt: Die beiden spielen das nicht zum ersten Mal. Seit kurzem droht ihr Freund mit der Anschaffung einer E-Gitarre, weil man die lauter drehen kann. Am Haushalt beteiligt er sich trotzdem nicht.
Filmscript off.
Nach einer knappen Stunde war das Staubgesauge vorbei. Die Gitarrenmusik leider auch. Kurze Stille. Dann Stimmen im Treppenhaus. Abreise. Vorhang.
¹ d.h. vor Sonnenuntergang
Normalerweise hört man von ihr gar nichts. Keine Schritte, keine lauten Diskussionen, keine tobenden Kinder, keine Beischlafgeräusche, keine Wäscheschleuder, nichts. Zuweilen jedoch, an Werktagsvormittagen, hört sie genau eine CD mit erheblicher Lautstärke. Und dann ist auch schon wieder Schluss. Wenn ich dann mal zu Hause bin höre ich das, Popmusik, unterschiedliche Qualität, manchmal fantastisch, manchmal grauenhaft. Ansonsten ist die Bewohnerin der oberen Wohnung genauso ein Phantom wie die übrigen Bewohner des Hauses.
In einem Neubau sollte man gemäß Bauvorschriften überhaupt nichts von den Nachbarn hören, oder jedenfalls erst, wenn das Haus demnächst einzustürzen droht. Vorher nicht. In Deutschland muss so etwas per Gesetz geregelt werden, weil deutsche Hausbewohner gerne irgendwen verklagen, wenn der Nachbar zu oft hustet. In einem Altbau wie meinem bemerkt man aber sowieso hin und wieder, dass die Nachbarwohnungen belebt sind.
Neulich also, Samstagvormittag, Livemusik aus der Oberwohnung: Da spielte jemand ganz wunderbar Gitarre. Akustische Gitarre. eine Art Popmusik, regelmäßig angeschlagene Akkorde, aber keine einfache Schlaggitarre, wie man das aus den Ferienlagern oder von der Admiralsbrücke so kennt, sondern schöne phantasievolle Popmusik.
Wann habe ich das schon mal: Im Bett liegen und gute Livemusik hören? Was besseres kann einem kaum passieren. Es währte ja auch nicht lange. Nach etwa zehn Minuten setzte plötzlich der infernalische Krach und das Rumpeln eines Staubsaugers ein und übertönte die Gitarre. Ist ja nicht schwer - "elektrischer Staubsauger 2Kilowatt vs. akustische Gitarre geht 3:0 in Führung".
Die akustische Gitarre allerdings zeichnete sich durch unerwartete Hartnäckigkeit aus. Der Staubsauger setzte hin und wieder aus und in diesen Pausen hörte man, dass der Musiker ungerührt weitermachte. In diesem Moment spielte sich vor dem geistigen Auge des Großen Bloguators™ ein Film ab, wie ihn wahrscheinlich die meisten schon einmal gesehen haben.
Filmscript on:
Ein Pärchen aus dem Ausland ist bei einer Freundin zu Besuch in der fremden großen Stadt. Der Junge hat seine Gitarre dabei und spielt oft. Er ist ein gefragter Musiker weil er regelmäßig übt. Am Tag der Abreise spielt er wieder, während die junge Frau der Ansicht ist, man sollte der großzügigen Leihgeberin der Wohnung wenigstens ein gepflegtes Nest hinterlassen, auf dass sie Freude empfinde bei der Heimkehr. Um ihrer Vorstellung Nachdruck zu verleihen greift sie zum Staubsauger, der deutlich lauter ist und theoretisch auch einen längeren Atem haben müsste als ein Junge mit Gitarre.
Aber praktisch erweist sich das als Irrtum. Hatte sie gehofft, angesichts des Kraches würde sich ihr Freund begeistert am Reinigen des Nestes beteiligen, so sieht sie sich bitter getäuscht: Stur spielt er weiter.
Da das pfeifende und dröhnende Motorengeräusch ihrer Enttäuschung noch nicht genug Ausdruck verleiht, zerrt sie den Staubsauger besonders grob über den Boden und die Türschwellen, was zusätzlich ein extralautes Rumpeln verursacht. Das soll ihrem Freund subtil und nonverbal andeuten, dass gut er an Stelle des Staubsaugers sein könnte, dass sie gerne ihn ebenso grob behandeln würde.
Es ist etwa so wie eine Mutter, die genervt die Spielsachen ihres Kindes wegwirft, damit es endlich ihrem Ordnungssinn entsprechend aufräumt. Man ahnt, dass die beiden dieses Schauspiel nicht zum ersten mal aufführen.
Lola rennt, der alternative Handlungsstrang
Vielleicht ist es bei ihnen daheim, da wo die beiden Besucher herkommen, umgekehrt: Zu Hause hat die junge Frau den gemeinsamen Haushalt ganz schuldlos allein am Hacken. Immer wenn sie ihren Freund zur Beteiligung an der Hausarbeit auffordert, Müll, Abwasch, Einkauf, hat er nichts wichtigeres zu tun als ganz dringend Gitarre zu spielen. Und zwar genau so lange, bis die Arbeit jemand anderer gemacht hat. Immer. Immerimmerimmer!
Durch lange Übung abgestumpft greift sie im Angesicht der schönen Musik herzlos zum Staubsauger. Es ändert nichts, aber das Imperium schlägt zurück. Aber, wie schon gesagt: Die beiden spielen das nicht zum ersten Mal. Seit kurzem droht ihr Freund mit der Anschaffung einer E-Gitarre, weil man die lauter drehen kann. Am Haushalt beteiligt er sich trotzdem nicht.
Filmscript off.
Nach einer knappen Stunde war das Staubgesauge vorbei. Die Gitarrenmusik leider auch. Kurze Stille. Dann Stimmen im Treppenhaus. Abreise. Vorhang.
¹ d.h. vor Sonnenuntergang
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