22 September 2018

Eroberer

Als die Wikinger Amerika entdeckten, etwa 500 Jahre vor Columbus, trafen sie auch die Leute, die bereits seit langem dort wohnten. Diese waren klein und mager, sie wohnten in Zelten und kannten kein Eisen. Die Wikinger nannten sie Skrälinger - Schwächlinge.

Die Wikinger hingegegen waren kräftig gebaut, sie wussten, wie man Eisen schmiedet und errichteten warme, stabile Häuser. Die Skrälinger konnten dennoch von ihrer Natur leben, sie trotzten mit ihren vermeintlich primitiven Mitteln den mörderischen Eisstürmen und der sommerlichen Hitze. Das gelang ihnen so gut, dass sie große Stämme bildeten.

Die Wikinger waren gekommen, um Land zu erobern. Seit sie regelmäßig die europäischen Küsten absegelten und wehrlose Bauern überfielen und ausraubten, hielten sie sich für die geborenen Eroberer. Das wollten sie auch in dem neu entdeckten Landstrich so halten. Ihre Anführer hatten zudem wegen wiederholter brutaler Ereignisse, die selbst in der damaligen Zeit als Straftaten galten, zuerst aus Norwegen und dann sogar aus Island fliehen müssen und suchten nach neuen Revieren.

Die Skrälinger hatten dafür kein Verständnis. Nach ihrer Einschätzung lebten sie sehr gut von dem Land und hatten kein Interesse daran, von Räubern und skrupellosen Sklavenhaltern ausgebeutet zu werden. Sie machten das den Wikingern in zähen und verlustreichen  Angriffen deutlich.

Ihre überlegenen Kenntnisse im Schmieden halfen den Eroberern nicht, da sie kaum Eisenerz fanden. In der Landwirtschaft waren sie keine Koryphäen, da zu Hause die Landarbeit immer von den Sklaven erledigt wurde und sie diese Tätigkeit für unwürdig hielten. Die Nahrung war immer knapp. Sie waren auch nur ein paar dutzend Menschen - immerhin waren sie mit nur wenigen Schiffen vor ihren Landsleuten geflohen. Die wiederum setzten ihnen nicht nach, sie waren nämlich froh, dass die übelsten Störenfriede endlich weg waren.

Obwohl in den Gefechten die schwächlichen Einheimischen viel größere Verluste hatten, als die gut gerüsteten und kriegserfahrenen Wikinger, wurden diese irgendwann mürbe. Auch bei einem Zahlenverhältnis der Getöteten von zehn zu eins konnten sie sich ausmalen, wann der letzte von ihnen seinen Platz in Walhalla einnehmen würde. Dies entsprach allerdings nicht ihrer Idee von einer ruhmreichen Eroberung. Nach nur einem Jahr zogen sie die Konsequenzen und machten sich auf den Rückweg. In Europa gab es ja auch noch genug unbeholfene Bauern und vielleicht war über ihre Verfehlungen inzwischen auch ein wenig Gras gewachsen.

Nachdem die Wikinger endlich abgereist waren, wendeten sich die Skrälinger mit Muße wieder ihren eigenen blutigen Fehden zu, die sie seit Generationen untereinander pflegten.

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