06 Januar 2019

Ferne Welten - Galaktische Römer


Wir befinden uns in nicht allzu ferner Zukunft, auf einem Planeten, den die ersten Besucher von der Erde "Frankensteins Zoo" getauft haben. Das hat mit den Eigenheiten des Planeten zu tun, die nicht in allen Punkten den menschlichen Erwartungen entsprechen. 

Die ersten Besucher von der Erde sind eine dreiköpfige Raumschiffbesatzung, bestehend aus dem Kapitän, dem Arzt und einem Ingenieur, der nicht spricht. Ein riesiger Schleimpilz wandert, liest Gedanken und formt mit seinem flexiblen Fruchtkörper zuweilen die vorgefundenen Phantasiebilder eins zu eins nach, ein unheimlicher Pantomime.

Im Zuge der ersten relativistischen Reise ist den ersten relativistischen Reisenden inzwischen völlig unklar, ob dieser Planet und sein Sonnensystem nun hundertzwölf oder tausendzwölf Lichtjahre von der Erde entfernt ist. Oder irgendeine beliebige andere unüberwindliche Entfernung. Sie werden von Heimweh, Sehnsucht und einer gewissen schöpferischen Unruhe heimgesucht. Manchmal ist ihnen langweilig.


"Schon komisch, dass wir so weit draußen noch niemanden getroffen haben, was Käpt'n?"

"Wir haben den untoten Grafen getroffen."

"Der zählt nicht!"

"Wieso soll der nicht zählen?"

"Der war eine Halluzination!"

"Ihre Halluzination hätte sie in Einzelteile zerlegt und gegessen, wenn ich ihn nicht besänftigt hätte!"

"Glauben sie."

"Ja, glaube ich. Na gut, einigen wir uns auf ‘sehr eindrucksvolle Halluzination’. Mal sehen, wann uns die Halluzination wieder besucht und meinen Chardonnay wegtrinkt."

"Aber sonst, warum ist denn hier niemand?"

"Wen wollten sie denn treffen, hier auf Frankensteins Zoo?"

"Na, so wie uns muss es doch auch andere Zivilisationen geben, die intergalaktisch reisen können? Oder meinetwegen auch nur galaktisch."

"Muss es?"

"Nun, einfach wegen der Wahrscheinlichkeit. Eine Galaxie mit Milliarden von Sternen. Jeder zehnte oder so hat Planeten, aber dafür immer mehrere. Selbst wenn die Entstehung von Leben auf vielen Zufällen beruht - bei Milliarden von Möglichkeiten muss es doch wenigstens ein paar geben, die zufällig genauso weit gekommen sind, wie wir?"

"Aber wir sind doch nicht weit gekommen. Drei hilflose Gestalten, von denen einer nicht spricht, haben die Entfernung von hundert Lichtjahren überwunden."

"Oder tausend..."

"Ja, ja, ja, schon gut! Ich weiß es nicht genau! Sie müssen mich nicht ständig wieder darauf hinweisen!"

"Nun, sehen sie mal, Käpt'n: Selbst wenn wir heute noch hilflos umher irren, wird das in ein paar hundert Jahren ganz anders sein. Die Menschheit wird sich entwickelt haben, viel weiter sein, wird in der Lage sein, viel größere Entfernungen zu überwinden. Und vielleicht werden die Raumfahrer dann sogar bestimmen können, wo sie gerade sind."

"Ich habe sehr genau bestimmt, wo wir gerade sind! ABER WIR SOLLTEN HIER NICHT SEIN!"

"Aber hier ist es doch ganz schön? Ich wundere mich doch nur darüber, das wir allein sind. "

"Bis auf den..."

"JA! BIS AUF DEN GRAFEN! Ich meine: Warum ist hier niemand außer uns? Die anderen müssen den Planeten doch gesehen haben. Die müssen doch auch Forscher haben. Und Eroberer!"

"Sie erwarten ein galaktisches römisches Reich, was?"

"Wieso römisches Reich?"

"Die Römer waren die am besten organisierte Zivilisation ihrer Zeit. Zivilisationen gab es zu diesem Zeitpunkt schon viele. Viele  kannten sich untereinander sogar, Phönizier, Griechen, Inder, Karthager, Ägypter. Aber die Römer waren in der Lage, die anderen zu erobern und niederzuwerfen. Das ging nur mit einer fantastischen, aber beängstigend destruktiven Organisation."

"Worauf wollen sie hinaus?"

"Darauf, dass ich Angst habe, die galaktischen Römer zu treffen. Eine außerirdische Zivilisation, die technologisch noch weiter ist als wir, aber intellektuell und moralisch unterhalb der Stufe von Kannibalenstämmen steht. Und die dann ein galaktisches römisches Reich errichtet."

"Jeder römische Bürger konnte sich in den Grenzen des Reiches frei bewegen!"

"Aber nicht jeder Mensch in den Grenzen des Reiches war römischer Bürger. Viele waren Sklaven. Und ebenso viele waren schlicht Beutegut, eine Hemmnis bei der Eroberung der benachbarten Länder."

"Na, na..."

"Julius Cäsar brüstete sich sogar damit, dass er die halbe Bevölkerung des von ihm eroberten Gallien niedergemetzelt hatte, und die andere Hälfte in die Sklaverei geführt. Er schickte stolz Listen darüber nach Hause. Das war nur möglich, weil die Römer technologisch fortschrittlich waren, sowie sehr gut organisiert. Und skrupellos."

"Als Eroberer muss man doch skrupellos sein. Sie wollten eben ein bequemes Leben auf Kosten der anderen."

"Die Idee von der Eroberung, von dem immer weiteren Wachstum, hatte sich aber völlig verselbständigt. Sie hätten auch bequem auf Kosten der anderen leben können, ohne das Reich immer noch weiter auszudehnen. Ihnen war egal, *warum* sie die Welt erobern sollten, und was dabei alles zerstört würde."

"Mag schon sein. Müssen wir die Römer jetzt noch verurteilen? Immerhin sind sie tot."

"Aber diese Idee nicht! Jetzt stellen wir uns einen solchen Charakter im galaktischen Maßstab vor."

"Nein, das ist doch ganz anders! Eine barbarische Zivilisation entwickelt sich doch gar nicht so weit!"

"Na klar doch, selbstverständlich. Alle alten großen Weltreiche gründeten auf der reinen Barbarei: Der Kaiser Chin, die Mongolen, die Amerikaner. Einige haben es versucht, aber die technologische Führung genügte nicht, wenn sie nicht ausreichend organisiert waren."

"Welche sollten das sein?"

"Beispielsweise die Deutschen zur Zeit der Hunnen. Also, ich meine zur Zeit der Nazis. Die wollten sich die ganze Welt untertan machen. Technologisch waren sie führend in der Welt. In ihrem Überlegenheitswahn auch. Wurden aber von unterentwickelten Völkern zurückgeschlagen, die wussten, worauf es wirklich ankommt. Bis dahin hatten sie ebenfalls Millionen wehrloser Menschen umgebracht - wie viel verschwendetes Potential!"

"So, so."

"Ja, ich finde auch, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass da draußen außer uns noch andere sind. Und deshalb bin ich froh, wenn wir weder die galaktischen Römer noch die galaktischen Deutschen treffen, die gnadenlos ein Reich über die halbe Galaxis errichten. Und den untoten Grafen haken wir vorläufig unter Halluzination ab. Bis er mir wieder meinen Chardonnay wegtrinkt.”

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