01 April 2016

Erdowahn

Ich hätte mir im Leben nicht träumen lassen, dass ich nochmal die BILD-Zeitung zitieren müsste.

Nämlich der Clip “Unerlaubte Schmähkritik” aus der ZDF-NeoMagazinRoyale-Sendung vom 31.3.2016, der vom ZDF in vorauseilendem Gehorsam und mit hanebüchener Schein-Begründung¹ gelöscht wurde 

http://www.bild.de/video/clip/recep-tayyip-erdogan/boehmermanns-erdogan-gedicht-45152028.bild.html 
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Anfang der Woche hatte die Satire-Sendung Extra3 des NDR ein kleines Liedchen von Nena umgedichtet, und damit auf den Zustand der Türkei unter der Herrschaft von Recep Tayyip Erdogan hingewiesen: Erdowie-Erdowo-Erdowahn.

Keine der dort “satirisch” gemachten Aussagen war unzutreffend – aber Erdogan ließ den deutschen Botschafter ins Außenministerium einbestellen und wollte *alles* verbieten lassen. Die gesamte politische Spitze Deutschlands schwieg pikiert, so lange es ging.

Wir erinnern uns: Um innenpolitisch wegen der Flüchtlingsfrage ein wenig Ruhe zu erzielen, machte Deutschland einen überaus unanständigen Deal mit der Türkei, dem Land, das vom Usurpator Erdogan mit immer undemokratischeren Mitteln und immer mehr Gewalt regiert wird.

Gegenwärtig führt die Türkei wieder den unterbrochenen Krieg gegen ihre eigene kurdische Bevölkerung, der nach Jahren der Ruhe nur deshalb wieder angeheizt wurde, weil sich Erdogan Sorgen um seine Wiederwahl machen musste. Außerdem führt das NATO-Mitglied Türkei Krieg gegen irgendwelche Leute in Syrien, von denen aber niemand sagen kann, ob er sich gegen die Assad- oder die IS-Truppen richtet. Am IS hatte Erdogans Regierung bis vor kurzem noch nicht allzu viel auszusetzen.

Innerhalb der Türkei muss derzeit jeder, der die korrupte und selbstherrliche Regierung kritisiert, mit Gefängnis oder dem gewaltsamen Tod rechnen. Oder mit beidem.

Mit diesem Partner macht also Deutschland Geschäfte in Flüchtlingsfragen. Da war es für das deutsche Gewissen geradezu entlastend, als man nach der Extra3-Satire und der Sache mit dem Botschafter dem RT Erdogan im Brustton der Überzeugung zurufen konnte: “SO NICHT!” Als wären nicht schon alle moralischen Grundsätze längst über Bord gegangen.

Nun kommt Jan Böhmermann in der NeoShowRoyale³ mit einem Gedicht daher, das während der Show immer wieder gekennzeichnet wird als “Schmähkritik – darf man in Deutschland nicht machen! Auf keinen Fall!” Auch in dieser auf den ersten Blick groben Beleidigung sind noch längst nicht alle Behauptungen unzutreffend. Naja, weiß man nicht.

Angesichts zigtausendfacher Menschenrechtsverletzungen in der Türkei würde man gerne sehen, wie Erdogan in Deutschland genau die Institutionen anruft, die er daheim ständig mit Füßen tritt.

Oder man könnte einfach den Beleidigungsparagrafen etwas weiter auslegen: “Der soll mal nich so rumzicken! Jeder Rapper schprischt bei uns so!”

Oder man könnte das in der Türkei gängige Verfahren der Beweislastumkehr einleiten: Der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen. Wenn ihm das Gedicht nicht gefällt, soll Erdogan doch erst einmal beweisen, dass die Behauptungen *nicht zutreffen*: Kleiner Pimmel, Ziegenficker, Mädchenschläger. Soll er ruhig beweisen.

Bei diesem Gedicht ging es vielleicht ursprünglich einmal darum, das Extra3-Lied zu übertreffen, aber, um ganz ehrlich zu sein: Der Undemokrat und Gewaltherrscher Erdogan hats verdient. Er soll sich ärgern. Wegen einer völlig haltlosen Beleidigung. Er soll vor Wut kochen. Dann beruht dieser Zustand endlich einmal auf Gegenseitigkeit.

Deshalb ist hier ausnahmsweise die BILD verlinkt. Und falls es dort auch gelöscht wird – ich habs inzwischen gesichert, auf persönliche Anfrage sende ich es gerne.

 

 

 


¹ Dort steht: "...entspricht nicht den Ansprüchen des ZDF an Qualität von Satire..." - sie können aber nicht erklären, wo diese ggf. nachzuschlagen wären.

² ansonsten gilt selbstverständlich weiterhin: “Auge um Auge – und die Welt wird blind”

³ ich werde nie wissen, wie man das wirklich schreibt

Mist! Mir gehen die hochgestellten Ziffern aus.

⁴ ach nee, doch nicht.

⁵ es stört mich, aber ich habe mir diesmal nicht die Mühe gemacht, das korrekte türkische ğ jedes mal in Erdogans Namen einzusetzen. Das ist er mir nicht wert.

edith, kurze Zeit später:
⁶ Der Große Bloguator™ ist übrigens im Gegensatz zu sonst überhaupt nicht mit Kurt Tucholsky einer Meinung, Satire dürfe alles. Wer das behauptet, ist nur noch keinem begabten Satiriker zum Opfer gefallen.

⁷ aber zu guter Letzt noch einen Link, der ohne die BILD-Zeitung auskommt: https://vimeo.com/161209329

1 Kommentar:

Moss the TeXie hat gesagt…

<korinthenkack>„ğ“ ist nicht (nur) türkisch, das ist auch in azerbeidschanischer und georgischer Schriften üblich (wenn auch anders ausgesprochen).</korinthenkack>

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