Untote Grafen (2.2)
Fortsetzung
"Auf ihr ... ähm ... Wohl? Sagt man das so?"
"Wieso?"
"Unter Unsterblichen?"
"Aber natürlich. Nun, was wollten sie von mir wissen?"
"Das wissen sie doch sehr genau, wenn sie die ganze Zeit meine Gedanken lesen."
"Ich dachte, es macht ihnen ein warmes Gefühl, wenn sie es selbst aussprechen können. Irgendwie Autonomie, Selbstbestimmung."
"Ja,
Herr Graf, schon gut, sie müssen mich nicht demütigen. Ich habe es
einfach sehr selten mit Halluzinationen zu tun, die meine Weinvorräte
leeren und ansonsten über völlig übernatürliche Kräfte verfügen."
"Gut.
Also, was sie gerade fragen wollten: Ich bin hier, weil mein Chef mich
nicht irgendwo anders hin geschickt hat. Ich will es nicht 'Aufgabe'
nennen. Viele meiner Aufträge sind aus meiner Sicht völlig sinnlos. Sie
erschließen sich meiner Logik nicht. Da aber mein Chef so viel mächtiger
ist als ich, komme ich zu der Annahme, dass es vielleicht an meiner
mangelnden Auffassungsgabe liegt."
"Wie sieht ihr Chef denn aus?"
"Das
kann ich nicht beschreiben. Häufig sehe ich ihn gar nicht. Er
hinterlässt mir zuweilen Botschaften auf Zetteln, etwa an der
Kühlschranktür. Da hing nicht zufällig ein Zettel an ihrem Kühlschrank?"
"Der
Ingenieur hatte Putzdienst. Er hat heute morgen die Küche desinfiziert,
da ist kein Krümelchen mehr, schon gar keine Zettel am Kühlschrank.
Ich staune, dass wir überhaupt noch eine Kühlschranktür haben."
"Also nicht. Hm."
"Und sonst?"
"Ach
so, ja, die Gestalt meines Chefs ist, wie es ihm gerade gefällt. Er ist
mir schon als sprechende Ziege entgegengetreten. Und als leise
stöhnender Geysir."
"Und warum?"
"Ich
weiß es nicht. Er hat wohl seine Gründe. Sie übersteigen meine Erkenntnisfähigkeit. Ich tröste mich damit, dass ich mir einrede, er täte
es einfach aus Langeweile."
"Das tröstet sie?"
"Nun,
stellen sie sich vor: Er ist die mächtigste Wesenheit im gesamten
Universum. Er hat alles. Er kann alles. Er ist allwissend. Er ist
allmächtig. Und dennoch ist ihm langweilig. Tröstet sie das nicht?"
"Naja... schon. Aber, wenn sie mal nicht wollen?"
"Ob ich versucht habe, abzuhauen?"
"Ja."
"Nun,
stellen sie sich vor: Er ist die mächtigste Wesenheit im gesamten
Universum. Er hat alles. Er kann alles. Er ist allwissend. Er ist
allmächtig. Und ich versuche, abzuhauen."
"Und?"
"Dass er mich auf eine Sonne geschickt hat, war noch harmlos. Mein Gewand ist verbrannt, nach
einer Weile erwachte ich wieder, nackt, aus einer Ohnmacht, auf
irgendeinem gottverlassenen … ha, ha … Planeten. Dort war es kalt und
ich musste mich um Kleidung kümmern. Ich weiß nicht, wie viele
Generationen nach ihrer Zeitrechnung das gedauert hätte. Hat."
"Hätte hat?"
"Genau. Ich weiß es nicht. Ich reise übrigens auch in der Zeit umher. Und es ist nicht im geringsten aufregend."
"Nicht?"
"Manchmal keine Menschen. Oft keine Lebewesen. Zuweilen keine Vegetation. Mitunter nicht einmal ein Planet."
"Das geht?"
"Wenn sie untot sind, ja."
"Und wie ist das so?"
"Ich
schiebe Asteroiden hin und her, drücke mich von einem ab, versuche,
Kollisionen hervorzurufen."
"Billard im ganz großen Rahmen!
"Eher so mittellustig. Manchmal sind da auch keine Asteroiden. Nur
die weite dunkle Stille. In jeder Richtung ein paar Lichtjahre weit
Nichts."
"Oha, das klingt öde!"
"Ein
paarmal hatte ich die Nase voll. Ich bin in einen Vulkan gesprungen.
Das war noch vor der Sonne. Die Lava hörte auf, zu kochen, ich hatte am
Ende einen Steinklumpen am Bein. Nach der Erfindung der Schusswaffen auf ihrer Erde
habe ich es damit versucht. Großes Kaliber, gegen die Schläfe, mitten
durchs Gehirn. Hat eine Weile geblutet. Irgendwann hörte es auf. Ich
hatte schreckliche Kopfschmerzen."
"Es muss doch irgendeine Methode geben?"
"Ja,
danke für ihre Fürsorge! Das dachte ich auch. Ich war so verzweifelt,
ich habe mich in einen großen Holzschredder gestürzt. Das sollte doch wirklich genügen - könnte man meinen. Der Matsch der dabei
herauskam, muss eine schreckliche Schweinerei gewesen sein. Am Ende
versammelten sich alle meine Einzelteile und Moleküle, so als seien sie
magnetisch, und ich wurde wieder zusammengesetzt. Sogar mit Kleidung
diesmal. Das war der Moment, in dem der Chef mir als sprechende Ziege
gegenübertrat."
"ER? Sie wissen, dass er männlich ist?"
"Nur so eine Gewohnheit. Könnte auch eine Frau sein. Nach ihren irdischen Begriffen. Der Vergleich mit jedweder menschlichen Erscheinungsform ist unzutreffend. Es ist ja nicht so, dass Männer weniger zickig wären. Ha, ha, Ziege!"
"Und? Was hat er gesagt?"
"Nichts
von Belang. Irgendetwas triviales. Er weiß, dass er mich damit zum
Wahnsinn treibt. Eine Ziege, die sich bedeutungsvoll räuspert und etwas sagt wie 'Hast du immer noch nicht genug?' oder so ähnlich.
Ich brauche ihn nicht zu fragen, was das soll. Er antwortet nicht.
Jedenfalls nichts vernünftiges. Er ist wie ein Kind, das mich als
Spielzeug benutzt."
"Selbstmitleid beim Adel, ja?"
"Auf der Erde wäre ich in ihrer Zeit der mächtigste Mensch der ganzen Welt! Ich bin nur deshalb ein untoter Graf, weil er es so
will. Ich weiß nicht, warum, ich weiß nicht, wie lange. Ich kann mir nur
einreden, dass er vielleicht irgendwann genug von mir hat."
"Sehr bedauerlich!"
"So ist es. Die andere Flasche Chardonnay - könnten sie die jetzt holen?
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