18 März 2011

Ferne Welten - Geschichten aus der Zukunft


Heute: Ein lehrreicher Vortrag

Die Vorgeschichte kann man hier lesen.

"Na Doc, störe ich?"

"Ja."

"Was tun sie da?"

"Ich schreibe."

"Ah. Da wäre ich nie drauf gekommen. An dem Stift in ihrer Hand hätte ich das niemals erkannt."

"Ja."

"Und?"

"Was und?"

"Was wird es? Wieder eine Ansprache an die hirnlosen Tiere da draußen?"

"Die sind nicht hirnlos."

"Nein, sie haben nur nichts im Kopf."

"So ist es."

"Also keine Ansprache an die hirnlosen Tiere. Aha. Und woran schreiben sie jetzt?"

"Ich betreue da diese Klasse auf der Erde..."

"Richtig, sie haben sich da als Patenlehrer ausgegeben."

"... um Kinder für die Raumfahrt zu interessieren!"

"War das wirklich nötig?"

"Die natürliche Neugier wecken! Den Forschergeist! Die Sehnsucht nach fremden Welten!"

"Ja ja, die Sehnsucht. Haben sie denen von ihrer Langeweile hier erzählt?"

"Nein, ich bin doch Vorbild!"

"Von ihrer Einsamkeit..."

"Nein!"

"... die sie schon dazu gebracht hat, den hirnlosen Tieren von unserer Terrasse aus Gedichte vorzutragen und die selbst den telepathischen Schleimpilz zum Weinen bringt?"

"Nein! Nein! Nein!"

"Aha. Patenlehrer also. Konnten sie nicht mehr vom Vertrag zurücktreten?"

"Als ich es gemerkt habe waren wir schon vier Monate unterwegs und zehn Lichtjahre weit weg. Außerdem ist es ein Knebelvertrag. Wenn ich mich nicht dran halte brauche ich mich auf der Erde nicht mehr sehen zu lassen. Dann kann ich gleich hier auf Frankensteins Zoo bleiben. Und das Gelächter wird man wahrscheinlich bis hierher hören."

"Sie sind wehleidig, Doc."

"Ich komme nicht weiter."

"...mit ihrer Ansprache."

"Nein - ich soll den Kindern erklären wie es uns gelungen ist, zehn Lichtjahre zu überwinden."

"Hundertzehn."

"Das wissen sie doch gar nicht genau!"

"Genau."

"Wie viele auch immer es nun sein mögen - ich soll es erklären."

"Na und? Das ist doch ganz einfach: Raumschifftür zu - schwupp! - Raumschifftür auf - 'Hallo Frankensteins Zoo!' "

"So klein sind die Kinder nun auch nicht mehr, das glauben die mir nicht."

"Wie alt sind sie denn?"

"Keine Ahnung. Wie alt ist man denn in der achten Klasse?"

"Wissen sie das etwa nicht? Das wissen sie nicht!?!"

"Sie etwa?"

"Nein."

"Sie sind mir eine große Hilfe."

"Wie alt waren sie denn in der achten Klasse?"

"Weiß nicht mehr. Ich habe eine Klasse übersprungen und bin früher eingeschult worden."

"Wenn man normalerweise mit sechs in die Schule kommt und acht Jahre hingeht, dann können sie mit den Fingern rechnen: 'Sechs plus acht minus zwei'. Das sollten sie als Raumfahrer aber eigentlich können."

"Mit den Fingern geht das nicht!"

"Wenn wir ihre und meine zusammen nehmen, schon."

"Käptn, bitte!"

"Oder ihre eigenen Finger und ihre eigenen Zehen, wenn sie drauf bestehen, das genügt auch schon."

"Käptn!!!"

"Sie sind ja mächtig angegriffen, Doc."

"Ich muss es morgen abgeben."

"Meine Güte, das ist ja wie in der Schule!"

"DAS! IST! DIE! SCHULE!"

"Ach so, ja."

"Und sie halten mich davon ab!"

"Nicht absichtlich."

"Oh doch!"

"Ich will sie nur ein wenig aufmuntern. Ablenken."

"Ich brauche aber eine Lösung!"

"Na gut: Warum sagen sie ihnen nicht einfach die Wahrheit?"

"Vierzehnjährigen Kindern?"

"Ach, das haben sie inzwischen ausgerechnet?"

"Ja."

"Vierzehnjährige Kinder sind alt genug um die Wahrheit zu ertragen."

"Aber das ist doch so kompliziert."

"Nur weil sie es kompliziert machen."

"Tue ich gar nicht. Ich muss es nicht kompliziert machen, weil es bereits kompliziert ist!"

"Aber sie können es doch einfach erklären."

"So? Wie denn?"

"Na so wie es war auf unserer Reise hierher: Wir sind mit einem Bus-Shuttle von der Erdoberfläche gestartet und auf der Orbitalstation in unser großes Reiseschiff umgestiegen, das dort angebunden war. Würden das die Kinder verstehen, die vierzehnjährigen?"

"Ja, denke schon."

"Mit dem Reiseschiff sind wir zwei Monate lang bis zum eigentlichen Startplatz gefahren: Dem absolut leersten Ort im inneren Sonnensystem. Verstehen ihre Schüler das auch?"

"Ja."

"Der liegt quer zur Erdumlaufbahn sozusagen in Richtung der Achse. Dort fliegt besonders wenig Weltraumgeröll herum. Verstehen ihre Kinder das auch noch?"

"Ja, schon gut, hören sie schon auf!"

"Aber ich soll doch noch unsere Reise erklären?"

"... mit der Frage ob die Kinder das verstehen, meine ich!"

"Ach so. Gut. Dort haben wir unser Reiseschiff in relativistische Schwingungen versetzt."

"Das verstehen meine Kinder nicht!"

"Lassen sie das "relativistisch" weg: Dort haben wir unser Reiseschiff in ... geheimnisvolle ... Schwingungen versetzt...?"

"Na gut."

"... und es im Quantenraum verschwinden lassen. Je nachdem, wie groß die Schwingungen sind und in welcher Richtung, taucht man dann an irgendeiner anderen Stelle des realen Raumes wieder auf."

"Genauso gut könnte ich sagen wir haben uns hierher gebeamt!"

"Doc, das glaubt ihnen doch heute kein Kind mehr! Sie müssen schon bei der Wahrheit bleiben!"

"Gut. Wie weiter?"

"Beim Beamen ... nein! Jetzt fange ich auch schon damit an! ... bei den Quantenraumreisen mittels relativistischer Schwingungen muss man nur aufpassen, dass man nicht an einer Stelle wieder im realen Raum auftaucht, wo bereits etwas anderes ist..."

"Sehr richtig."

"... ich weiß ... ... ... weil man sonst die Moleküle des eigenen Körpers nicht mehr von denen der anderen Materie trennen kann. Das wäre unschön. So eine verschränkte Einheit von Mensch und Fels kann sehr lästig sein. Auf so große Entfernungen ist die Treffsicherheit gering und wenn man weit entfernt an einer Stelle wieder auftauchen will, wo *garantiert* *nichts* ist, muss man eben eine sehr abgelegene Gegend auswählen. Bei einem normalen Sonnensystem einfach sehr weit draußen. Supertanker legen ja auch nicht im Hafen an, sondern gehen weit draußen im Meer vor Anker."

"Der Vergleich hinkt."

"Egal. Die Kinder werden das schon verstehen. Irgendwas müssen sie doch noch fragen können. Und deshalb mussten wir vom Punkt unseres Wiederauftauchens in der realen Welt bis zum Zielplaneten der Reise vier Monate weit konventionell fahren."

"Das sollen sie glauben?"

"Es ist die Wahrheit."

"Und die Landung mit diesem Riesenschiff?"

"Die geht sehr einfach, wenn man die hiesigen Gezeiten beachtet. Woanders wäre sie schwieriger gewesen. Da hätten wir das Raumschiff draußen in der Umlaufbahn lassen müssen und mit dem Tender lästig hin und her fahren. Hier eben zufällig nicht."

"Und die Kommunikation?"

"Was ist damit? Wollen sie den Kindern wirklich erklären, wie ihre Pornos und der Spam von der Erde bis hierher kommen?"

"Nein! Als ob sie sich nicht für Frauen interessieren würden, Käptn ... nein! Will ich nicht! Ich meine einfach: Die Lichtgeschwindigkeit."

"Was ist damit?"

"Kinder wissen so etwas heute! Ich muss doch erklären, wie unser Funk und Internet die Entfernung überwindet, obwohl die Wellen auch nicht schneller als das Licht sind!"

"Na, sie erzählen ihnen die Wahrheit: Wir haben weit außerhalb der Umlaufbahn unsere Semaphor-Station, die mit unseren Nachrichten genau dasselbe macht wie wir vorher mit dem ganzen Schiff. Und ein Gegenstück dazu an der gottverlassenen Stelle, wo wir relativistisch losgeschwungen sind. Die Funkwellen müssen dann noch mit Lichtgeschwindigkeit die Entfernung überwinden, die wir in sechs Monaten mit unserem Raumschiff konventionell zurückgelegt haben. Das dauert auch seine Zeit. Aber es geht."

"Ja."

"Man kann sogar ganze Bücher damit verschicken..."

"Jetzt fangen sie nicht wieder damit an!"

"... und Spam empfangen."

"Danke! Schon gut! Danke! Sie haben mir sehr geholfen."

"Dachte ich mir."

"Danke!"

"Haben sie mitgeschrieben? Kann ich sie um einen Gefallen bitten, Doc?"

"Was denn?"

"Es wäre sicher gut für die Kinder, wenn sie ihnen nicht so einen extrem trockenen Vortrag halten würden."

"Sicher."

"Vierzehnjährige sind ja mitten in der Pubertät. Wäre vielleicht nett, wenn in ihrem Vortrag eine nackte Frau vorkäme..."

"Käptn!"

"Nur ein Scherz, Doc, nur ein Scherz!"

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