eine fast nicht erfundene Geschichte
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Mein Architekt und jetziger Chef versuchte also trotzdem, sich bei den Bauherren einzuschleimen. Ich war lange Arbeitstage lang da, ganze Wochenenden und es lief eine große Zahl von Arbeitsstunden auf. Aus zwei Wochen wurden zweieinhalb Monate. Ich dachte mir:
"Naja, er ist erwachsen. Er wird schon wissen, was er tut." Außerdem hatte ich erfahren, dass die Aufgabe regulär bezahlt wurde, Honorarordnung, Rechnung, Mehrwertsteuer, alles in allem eine solide Grundlage. Das ist keineswegs die Regel, traf hier aber immerhin einmal zu.
"Dann wird er halt nicht schlagartig reich", dachte ich mir,
"sondern kann nur gut davon leben". Und ich auch.
Meine erste Frage nach Geld nahm er gleich vorweg. Man stellt diese Frage in der Regel entweder gleich zu Anfang und sonst nach etwa vier Wochen: Wie denn die Abrechnungsmodalitäten so seien? Dann reicht man seine Stundenliste ein und noch etwas später macht man aus der eine Rechnung. Stunden mal Stundenlohn gleich Honorar.
Ich reichte also nach vier Wochen meine Stundenzettel ein und er sprach:
"Mit der Rechnung - wäre gut, wenn du die etwas später stellen könntest." In solchen Büros ist man häufig formlos und PER DU. Das sorgt für Vertrauen, gerade, weil man sich doch nicht ganz so gut kennt.
"Die Auftraggeber, weißt du, die haben das Honorar noch nicht gezahlt, ich warte da noch auf den ersten Abschlag..."
Wenn man schon eine Weile im Geschäft ist, klingt das auch plausibel: Erst arbeitet man eine ganze Zeit lang, dann stellt man die erste Rechnung, die wird beim Bauherrn bearbeitet, geprüft, gegengeprüft, bleibt nochmal irgendwo liegen, und bis man das erste Geld hat, sind eineinhalb Monate rum. Eineinhalb Monate seit Rechnungsstellung, oder drei Monate seit Arbeitsbeginn. Da kann es schon vorkommen, dass man dann ein wenig klamm ist.
Sollte es beim Chef eines Büros eigentlich nicht, er trägt das unternehmerische Risiko - und wenn er nicht zahlen kann, darf er keine Leute beschäftigen, so einfach ist das. Ich war irgendwie blind und habe mich darauf eingelassen. Hätte ich nicht tun sollen. Aber er hatte ja auch den Vertrauensvorschuss als Vereinsmitglied.
Ich wunderte mich ein wenig, dass die angestellten Mitarbeiter auch beim größten Druck beizeiten Feierabend feierten, aber ich bis nachts sitzen musste. Später wurde mir klar: Deren Überstunden hätte irgendjemand zahlen müssen, und zwar pünktlich.
Nach acht Wochen reichte ich meinen nächsten Stundenzettel ein und erklärte, dass ich Geld bräuchte, ich hätte da eine Miete und ein, zwei andere laufende Kosten zu begleichen. Der Chef meinte, ich dürfe nicht ungeduldig werden, und ob ich ihm denn nicht vertrauen würde, und überhaupt seien das ja ganz schön viele Arbeitsstunden auf diesem Stundenzettel. Und er hätte das Geld vom Bauherrn leider leider immer noch nicht bekommen.
Die Bemerkung mit dem Vertrauen und den
"ganz schön vielen Stunden" machte mich misstrauisch: Da baute einer seine Verteidigungsstellung auf. Das kennt man auch, wenn man schon eine Weile im Geschäft ist. Er hatte die ganze Zeit im Raum hinter meinem Arbeitsplatz gesessen, Glasscheibe selbstverständlich, damit man die Mitarbeiter unter Kontrolle hat. Und ich hatte nur dieses eine Projekt zu bearbeiten. Wenn ich also direkt vor seiner Nase im Büro saß, dann nur, um an seinem Projekt zu arbeiten. Wie konnte ihm da entgangen sein, dass eine Menge Arbeitszeit auflief?
Genau: Gar nicht. Ich fing deshalb ebenfalls an, eine Verteidigungsstellung aufzubauen, so etwas wie eine Rückzugsstation. Ich baute kleine Fehler in meine Arbeit ein, absichtlich. Flüchtigkeitsfehler, die man nicht sofort merkt. Aber die sich beim Bauen vielleicht nochmal als sehr lästig erweisen konnten. Und die man korrigieren kann - wenn man denn davon weiß.
Ich merkte mir den Standort aller Unterlagen im Büro und kopierte, was ich in die Finger kriegte. Ich hatte ja einen Büroschlüssel bekommen, damit der Chef nach Hause gehen konnte, zu Frau und Kind, während ich noch bis spät nachts für ihn arbeitete. Die Kosten für den Fotokopierer müssen in diesem Monat auf das fünffache gestiegen sein.
Eine Woche später erinnerte ich ihn an die offene Rechnung. Er wurde unwirsch: Nein, er hätte immer noch kein Geld. Ich sollte mich nicht so haben, ich wüsste doch, wie das ist. Er würde
"selbstverständlich" zahlen, sobald das Geld da sei. Er meinte aber: Wenn
"ausreichend Geld" da ist. Genau das ist eigentlich nie der Fall.
Dass es langsam kritisch wurde bemerkte ich daran, dass der Chef beim Nachhausegehen sein Zimmer abschloss. Hatte er in den Wochen vorher nicht getan. Im Büro standen vertrauliche Sachen ohnehin in verschlossenen Schränken: Steuerunterlagen, Auftragsunterlagen, Verträge, Personalunterlagen. Wäre also nicht direkt nötig gewesen, das Chefzimmer gesondert abzuschließen. Er tat es aber nun trotzdem.
Er wollte damit anscheinend demonstrativ sein Misstrauen zum Ausdruck bringen. Vermutlich erwartete er, dass ich nach so einer Beleidigung sang- und klanglos verschwinden würde. Erwachsene Menschen kommen auf so kindische Ideen. Er versuchte mich auf einfallslos trostlose Weise zu mobben. Irgend sowas muss es gewesen sein, was weiß ich.
Nach einer weiteren Woche legte ich meine nächste Stundenabrechnung vor. Er fuhr mich an
"Die vier Wochen sind noch gar nicht rum!" "Ist mir egal, ich brauch Geld!" Wir hatten auch keinen Vertrag, in dem irgend etwas von vier Wochen stand. Wir hatten überhaupt keinen Vertrag. Er war ja Vereinsmitglied, wir hatten uns mündlich geeinigt und ich dann mit der Arbeit angefangen.
Mündliche Einigung gilt. Muss man nur im Zweifelsfall beweisen können. Oder ein Druckmittel haben.
Ich verwies noch einmal auf meine Miete und dass ich Geld bräuchte. Er meinte, dass ich sowieso viel zu viele Stunden aufgeschrieben hätte. Ich sagte, dass er mir gefälligst eine Anzahlung geben solle, nach zweieinhalb Monaten wäre das wohl nicht zuviel verlangt. Darauf jammerte er eine Weile herum und machte mir dazwischen Vorwürfe wegen meiner Kaltschnäuzigkeit. Ich wies ihn darauf hin, dass das Projekt nicht fertiggestellt war und er auch keinen anderen dafür hätte. Da zückte er einen Scheck und schrieb eine beliebige vierstellige Summe drauf. Dann schimpfte er noch weiter über die heute allgemein verbreitete Unverschämtheit.
Dieser Scheck deckte etwa die ersten zweieinhalb Wochen meiner Arbeit. Weil ich Tag, Nacht und Wochenenden geschuftet hatte, war die Stundenanzahl aber höher als bei den Angestellten in einem Monat. Das reichte immerhin für meine Miete und den Strom. Ich fragte:
"Wann kriege ich den Rest?" Da fing er wieder mit dem Vorwurf an, ich hätte viel zu viele Arbeitsstunden beansprucht und mehr sei nicht gerechtfertigt. Und im übrigen
"Wenn das Honorar vom Bauherrn da ist!"
Aus einer undichten Stelle im Sekretariat wusste ich aber inzwischen, dass der Bauherr längst ordnungsgemäß überwiesen hatte. Mein großer Architekt wollte mich über den Tisch ziehen. Bei einem einzelnen freien Mitarbeiter klingt das einfacher als bei einem Angestellten, der vielleicht doch gewerkschaftlich organisiert ist.
Ich nahm den Scheck und ging.
"Ich komme wieder, wenn ich Geld auf meinem Konto gefunden habe." "Du hast den Scheck bekommen - du MUSST weiter arbeiten!" Diese Logik habe ich bereits öfter erlebt. Sie ist erschreckend - aber falsch. Es gilt: Arbeit gegen Geld.
"Ich muss gar nichts."
Ab da sann ich auf Rache.
... to be fortcontinued in kürze ... hier: Zahlungsmoral (3)