Roo-Arr erzählte weiter, was Rauchender Haufen über den König und die Tiger berichtet hatte:
“Nach einer Weile beauftragte er seine Leute, sie sollten die Tiger am nächsten Tag wieder bringen, damit er ihnen befehlen kann."
"Ihnen befehlen? Was denn befehlen?"
"Keine Ahnung, Rauchender Haufen wusste es auch nicht. Der König wahrscheinlich auch nicht."
"Einer Katze kann man nicht befehlen!"
"Sag das mal einem, der den Chefposten von seinem Vater geerbt hat und sich für einen Gott und Chef der Ahnen hält. Vielleicht wollte er nur, dass die Tiger die anderen Könige zerlegen."
"Wenn die so sind wie mein Kater, dann kann man ihnen nicht befehlen. Jedenfalls nicht nur, weil man der geerbte König ist und einen Angebernamen hat."
"Solche feinsinnigen Betrachtungen waren dem König Jaguarpranke anscheinend fremd. Er wollte den Tigern befehlen. Und damit man zweifelsfrei erkennt, wie zwingend seine Befehle sind, sollten sie dafür aus dem Käfig freigelassen werden."
"So blöd kann doch keiner sein. Das hat sich Rauchender Haufen doch nur ausgedacht, oder?"
"Ich glaube ihm. Er sagt, dass die Leute vom König schon merkten, wie wahnsinnig seine Idee ist. Aber keiner wagte, es ihm zu sagen. Sie haben sich lieber alle verdrückt."
"Wie?"
"Angeblich kam jeder mit einer Ausrede: Die Berater, die Wachkrieger, die Sklaven, seine Frauen, alle wussten irgendeinen Grund, warum sie nicht dabei sein mussten. Niemand hatte den Mut, den König darauf hinzuweisen, dass diese Tiger sehr große starke wilde Tiere sind. Vielleicht dachte er auch, dass er am besten erst einmal alleine das Befehlen der Tiger übt."
"So ein Schwachkopf."
"Nun, Fatale Sandale, DU bist hier der mit dem Riesenkater im Ehebett. ICH finde ihn furchteinflößend."
"Das ist doch was ganz anderes! Wenn er satt ist, ist er ganz lieb!"
"Sie brachten also den Käfig nach oben, in den großen Raum, wo der König arbeitet, und öffneten den Käfig. Dann verschwanden auch die Helfer zügig. Das Tiger-Baby ließen sie im Stall, bei einem Wächter. Der König trat vor die Tiger. Rauchender Haufen hat später einen anderen König ein paar mal beim Befehlen gesehen, er sagt, bei solchen Anlässen sah der König gar nicht wie eine Jaguarpranke oder irgendein anderes starkes Tier aus.”
“Nicht? Wie denn sonst?”
“Nein, ganz im Gegenteil: Wie ein unnützer knallbunter Vogel."
"Wie ein Angeber eben."
"Und dann geschah wohl, was für jeden halbwegs vernünftigen Menschen absehbar war: Die Tigerin war böse, weil man ihr das Baby weggenommen hatte. Der Tiger war böse, weil seine Tigerin schlechte Laune hatte. Und dann tritt vor sie ein Männchen, das aussieht wie eine Kreuzung aus quietschbuntem Geier und einem dieser Berufsspaßmacher. Die beiden Tiger hatten jedenfalls Spaß mit ihm. Das war das Ende der Regierungszeit von Jaguarpranke."
"Nicht sehr überraschend."
"Als man an diesem Tag sicher war, dass er endgültig tot ist und die Tiger halbwegs satt, machten die Leute vom König so viel Lärm, dass die beiden Tiger davonliefen. Sie sprangen über die Mauer und verschwanden im Wald. Der Sohn von Jaguarpranke erbte seinen Posten. Er nannte sich Adlerklaue."
"Noch so ein Angeber!"
"Schon. Warum sollte so ein König auch kein Angeber sein? Der hat doch sicher menschliche Schwächen wie alle anderen auch. Irgendwie klingt die Geschichte von den zwei Tigern und der Jaguarpranke genauso wie die von Lautlose Sohle, der kürzlich den Mörder unserer Nachbarn erlegt hat."
"Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch auf. Dabei, weißt du, ich glaube, er hat keinen Sinn für Gerechtigkeit."
"Das hast du bemerkt, Fatale Sandale? Obwohl er dein Kater ist, den du so liebst?"
"Sicher. Ich liebe ihn, aber er ist ein riesiger Kater, ich weiß das. Gerechtigkeit interessiert ihn nicht. Schon gar nicht unsere menschliche Gerechtigkeit. Er hat Hunger, ist neugierig und manchmal will er seinen Spaß haben. Aber er kann es nicht leiden, wenn ihm einer blöd kommt. Da sind seine Eltern anscheinend genauso."