Zur Abwechslung eine kleine Geschichte aus dem Bauwesen
In zahllosen Berliner Altbau-Treppenhäusern liegt nach der Verhochwertigung zum Zwecke gesteigerter Mieten Kokosbelag. Oft in einem schönen kräftigen Rot, vom Erdgeschoss bis ins vierte Obergeschoss. Sehr edel und gemessen daran nicht teuer - deswegen wird es ja so gern genommen.
Nun ist es so, dass Treppenhäuser im Brandfall als erster Rettungsweg dienen¹. Man nimmt an, dass die Bewohner, wenn es brennt, zuerst versuchen, die Wohnung über das Treppenhaus zu verlassen, um sich in Sicherheit zu bringen.
Deshalb soll bei einem Brand das Treppenhaus möglichst als letztes Feuer fangen. Doch, doch, das geht schon: Da liegen meist Holzstufen und -geländer vor, die Türen und Fensterrahmen sind aus lackiertem Holz, zudem stehen Kinderwagen und Schuhregalchen herum, ganz zu schweigen von den Papierkörben für den Werbemüll, die man seit einigen Jahren braucht.
Deshalb schreibt die Berliner Bauordnung vor, dass alles, was man zusätzlich einbringt, nicht so leicht brennen darf². Das leuchtet ja auch dem Laien ein, was? Man nennt das in Fachkreisen:
"Keine zusätzliche Brandlast".
Und für den ganz ignoranten Laien: Nein, nur weil da schon brennbares Holz liegt, darf man jetzt NICHT weiteres billiges brennbares Zeug draufpacken! NICHT!
(es gibt einen Haufen Leute, die so denken, ich schwör!)
Also: Wenn man nun einen neuen Fußbodenbelag einbaut, dann muss der schwer entflammbar sein. Kokos ist doch schwer entflammbar, oder?
Genau: Ist es nicht.
Für Schwerentflammbarkeit gibt es klare Regeln und Prüfzeugnisse, B1, und weil das Kokoszeug überall liegt, geht wirklich jeder stillschweigend davon aus, dass es auch schwerentflammbar ist.
Aber, Überraschung: Ist es nicht!
Seit einigen Tagen recherchiert die Kollegin darüber und bekommt von jedem eine andere Antwort. Insbesondere auch von den Herstellern. Weiß man jetzt nicht, ob da auch überall ahnungslose Vollpfosten sitzen, aber möglich wärs schon.
Und wenn man selbst im Internet nach
"Kokos + schwer entflammbar" sucht, bekommt man zuerst scheinbar reichlich Antwort. Na, dann muss es das ja doch geben, oder?
Wer den Links folgt, sieht, dass die Wörter
"Kokos" und
"schwer entflammbar" fast nie im selben Satz auftauchen. Und wenn sie das tun, dann nicht bei den Herstellern, sondern eher bei den Schriftstellern, bei den Leuten, die allgemein über das Bauwesen philosophieren und ihre Gedanken niederschreiben. Aber die Schriftsteller wiederum wissen auch nicht, dass man dafür ein Zeugnis braucht, in dem unzweifelhaft unumstößlich
"Schwer entflammbar, Klasse B1" steht.
Nun besteht immerhin die theoretische Möglichkeit, Baustoffe durch Oberflächenbehandlung feuerhemmend auszurüsten, das ist bei verschiedenen Baustoffen durchaus üblich. Heißt zuerst natürlich: Es wird teurer. Noch viel interessanter ist jedoch, dass man bei weiterer Suche keinen solchen Hersteller findet.
Derzeitiger Stand der Erkenntnis: Es gibt gar keinen Kokos-Bodenbelag, der schwer entflammbar ist. Das Zeug wird aber kilometerweise bei fast jeder Treppenhaussanierung in Berlin eingebaut. Nun, vielleicht habe ich da auch irgendetwas ganz falsch verstanden.
Das ist: Interessant!
¹ über den zweiten Rettungsweg reden wir ein anderes mal
² das steht im § 35, Notwendige Treppenräume, Ausgänge:
(5) In notwendigen Treppenräumen und in Räumen nach Absatz 3 Satz 3 müssen
...
3. Bodenbeläge, ausgenommen Gleitschutzprofile, aus mindestens schwerentflammbaren Baustoffen bestehen.