die kleinliche Rache der Macht
Was bisher geschah:
Student Lennart steckt mitten in der Diskussion mit zwei dubiosen Typen, die ihm eben die Tür eingetreten haben. Gerade ist sein Fernseher zu Bruch gegangen und er weiß nicht, ob das schon das schlimmste war.
Lennart kam zu Bewusstsein, dass er einen schweren Fehler begangen hatte: Er hatte die Geisteskranken gereizt. Er verlor allmählich völlig die Fassung. Die Situation überstieg an Absurdität alles, was er in seinem Leben kennengelernt hatte, einschließlich der Schulhofprügeleien durchgedrehter Unterschicht-Mitschüler und der Ausraster bedröhnter Drogenopfer in irgendwelchen hippen illegalen Hinterhofbars.
Aber der kleinere Kerl antwortete ruhig und rätselhaft: "Wahnsinnig. Schon. Irgendwie schon, glaube ich."
"Was wollen sie von mir?"
Lennart klang erschöpft. Die Kerle sahen ihn mitleidig an.
"Sieh mal: Du betreibst da dieses Blog, Musik und so, Dateien, alles kostenlos..."
"Mein Blog? Was ist damit?"
"... und du lädst Musik ins Internet hoch, wo sie jeder kostenlos herunterladen kann..."
"Na und?"
"Was glaubst du, warum die Musiker das machen? Wochenlang arbeiten, monatelang, eine CD aufnehmen, ein Musikvideo, Werbung und alles das?"
"Na, die machen gern Musik..."
"Genau: Die wollen mit ihrer Musik Geld verdienen. Und was glaubst du, warum die Plattenlabels das machen: Geld ausgeben, damit Musiker im Studio Musik aufnehmen können?"
"Ich ... ich weiß nicht?"
"Was glaubst du, warum so ein Label hunderte Angestellte hat?"
"Ich weiß nicht ... ?"
" 'Ich weiß nicht! Ich weiß nicht!' Wofür studierst du eigentlich, Lennart, wenn du nichts weißt?"
"Was soll ich denn von Musik wissen? Ich bin Wi-Ing!"
"Was?"
"Ich bin Wirtschaftsingenieur, so mit Bau und Wirtschaft."
"Ach so: Was du vom Bau nicht weißt kannst du auch nicht in Wirtschaft?"
"So ähnlich ... ... ... was? Nein! Das ist eine Wissenschaft!"
"Irgendwie kommen wir vom Thema ab, Lennart."
"Ja, äh, welches Thema?"
"Was glaubst du, warum so ein Musik-Label Musik veröffentlicht?"
"Ich ... ich weiß ... nicht ...?"
Der kleinere antwortete streng: "Da waren wir schon! Ich kürze die Sache mal ab: Die Leute wollen Geld verdienen!"
"Ja - und?"
"Und du veröffentlichst ihre Musik im Internet, wo sie jeder kostenlos herunterladen kann."
"Ja - und? Aber ich tu doch niemandem weh!"
"Ach? Ist das so?"
"Ich tu doch niemandem was! Das ist doch nicht schlimm!"
"Findest du?"
Lennart war gestresst. Er hatte keine Ahnung, worauf dieser Überfall hinaus laufen sollte.
"Was hat denn mein Blog damit zu tun? Was wollen sie von mir?"
"Ach ja, richtig, was wollten wir eigentlich von dir? Jurii, kannst du dich erinnern, was wir von ihm wollten? Ich hab doch schon versucht, es ihm zu sagen, aber er sieht es nicht ein!" Jurii schüttelte den Kopf.
"Oh, Jurii! Jetzt muss ich wieder alles selbst erklären. Sieh mal, meinst du, der Verstärker hier passt zu unserem Trafo?"
"Nein! Nicht! Das ist ein Sammlerstück!" Lennart hatte sich zusammengerafft.
"Das dachten wir uns. Der sieht auch sehr wertvoll aus, verchromt. Wahrscheinlich sehr teuer, oder? Exklusiv. Sind da etwa Röhren drin?"
"Ja."
Der Trafo war bereits angeschlossen. Der kleinere Kerl schaltete den Verstärker an.
"Nein! Nicht!"
"Aber, aber, Lennart! Dir passiert doch gar nichts!"
"Nicht den Verstärker!"
"Ach so, nicht den Verstärker..."
Der kleinere Kerl drehte den Regler am Trafo. Nach kurzer Zeit gab es ein "Puff!" und eine Rauchwolke. Mit leicht überschlagender Stimmer heuchelte er: "Oh mein Gott! Womöglich ist er jetzt kaputt! Welch ein Glück, dass er nicht brennt! Wahrscheinlich nur ein Kondensator kaputt. Das kann man leicht reparieren."
Lennart hatte Zeit um durchzuatmen. Genau einmal. Dann krachte die Axt in den Verstärker. Er hyperventilierte wieder. Nach einer kurzen Weile hatte er sich beruhigt.
"Also, Lennart: Jedes Musikstück, das du ins Internet hochlädtst, wird tausendmal herunter geladen."
"Na klar, dafür mache ich das doch!"
"Und jedes, das kostenlos herunter geladen wird, wird nicht im Laden gekauft und bezahlt!"
"Aber das ist doch ganz was anderes!"
"Sagt dir das Wort Copyright irgendetwas?"
"Wenn das mal veröffentlicht ist, ist es doch egal! Dann kann das doch jeder nehmen!"
"So? Unser Boss sieht das nicht so."
"Ihr Boss? Wer ist ihr Boss?"
"Der stellt sich bei dir nicht vor. Aber er sagt immer zu uns: 'Jedes Musikstück wird ein paar hundert mal herunter geladen und ein paar hundert mal nicht bezahlt. Aber die Leute hören es trotzdem'."
"Aber ich tu doch niemandem weh!"
"Oh doch!"
"Die Musikkonzerne haben doch genug! Die sind doch riesig! Das sind Schweine! Das merken die doch gar nicht!"
"Wären wir wohl hier, wenn sie es nicht merken würden?"
"Sie sind wegen den paar MP3 hier? Da gibt es doch ganz andere! Das sind doch Riesen-Konzerne!"
"Mag sein. Aber wir dachten, wir fangen einmal bei dir an."
"Aber ein paar MP3, das ist doch gar nichts!"